Pixity - Stadt der Unsichtbaren
lassen, brauchte man für jeden Typ drei Grafiken. Das Männchen oder Weibchen schiebt das linke Bein vor, das rechte, dann stehen sie auf einer Höhe. Mit einer simplen Programmierroutine wurden die Figuren animiert, genau dorthin gesteuert, wohin der Anwender vorher geklickt hatte. Dann brauchte man das Männchen oder Weibchen sitzend. Und redend, wobei für die Mundbewegungen abermals wenigstens zwei, besser noch drei Grafiken anzufertigen waren.
In diesem Jahr gab es zu Weihnachten einen Xmas-Shop. Hier konnten für harte PixDollars Weihnachtskarten erstanden werden, auch süße Wollmützen mit dem Pixity-Emblem und bunte Stiefel mit glitzernden Sternchen, was wiederum neue grafische Varianten der Figuren erforderlich machte. Jetzt, wo der erste Schnee des Jahres gefallen war, würden die Kids, von so viel
weihnachtlicher Atmosphäre überwältigt, neue PixDollars per Handy ordern, um sich der Jahreszeit anzupassen. Keine Lust auf diesen Tag. Bentner hatte es in die Stille der Küche hinein geknurrt, ein Gemenge aus Toastbrot, Butter und Marmelade im Mund. Jeden Mittwoch traf sich die Geschäftsführung zu einer wöchentlichen Sitzung, es gab Kaffee und die ewig gleiche Gebäckmischung, von Almuth Neu, der Sekretärin, mit der ganzen Liebe ihrer geschätzten 150 Berufsjahre angerichtet. Eine nette Person mit blond gefärbter Dauerwelle, der gute Geist der Firma eben, eine Frau, die den nächsten Geburtstag mehr fürchtete als ein Politiker die Wahrheit, denn es würde der fünfzigste sein.
Almuth saß, über ihren Notizblock gebeugt, am Tisch und stenografierte mit, um später ein nüchternes Protokoll der Sitzung zu erstellen, aus dem Alinas Ausfälle gegen den Exgeliebten ebenso getilgt waren wie Sarkovys gewohnt unverbindliche Art, diese Scheißfreundlichkeit, dieser Honig, der ihm aus allen Poren zu strömen schien, ein glitschiger, nicht zu greifender Taktiker, von dem Bentner bis heute fast nichts Privates wusste. Verheiratet war er nicht. Hatte er eine Freundin, einen Freund? Selbst als sie früher im Taco’s zusammengesessen und sich in die Volltrunkenheit hinein gequatscht hatten, war Sarkovy immer nüchtern geblieben. Keine Lust auf diesen Tag, murmelte Bentner noch einmal, trug das Frühstücksgeschirr zur Spüle und hustete ein paar Toastkrümel auf den Boden.
Schnee also. Fünf Zentimeter, auf den Straßen längst zermatscht, Stoßstange an Stoßstange ging es von einer roten Ampel zur nächsten, Bentner würde zu spät kommen, aber nicht vermisst werden. Er erinnerte sich an die letzte Sitzung, als dieser Typ vom Marketing mit einer roten Zipfelmütze auf dem Kopf erschienen war, der knallgoldene Schriftzug »Pixity« wand sich um den Stoff, darunter, etwas kleiner, aber nicht zu übersehen »by Mustafa«, einer aufstrebenden Firma für Fanartikel.
Früher hätten sie sich über diesen Hampelmann amüsiert; jetzt lauschten sie seinen Ausführungen, kalkulierten den möglichen Profit und die optimale Werbestrategie, riefen den neuen
Grafiker Sergey Dehmel zu sich, der den Marketing-Nikolaus prüfend umkreiste und endlich befand, das sähe bestimmt cool aus, das Mützchen habe er in Nullkommanix gezeichnet und den Figürchen aufgesetzt.
»Solange man die PixBiz-Mitarbeiter nicht zwingt, als Werbeweihnachtsmänner durch die Stadt zu laufen … meinetwegen.«
Weidenfeld mit dem Versuch eines Witzes, von Alina sofort abgewunken. »Also machen wir das. Welche Stückzahl? Wo zu kaufen? Vertrieb und Rabatt? Popupfenster, wenn sich die Kids einloggen, per Klick zu bestellen im Pixity-Shop?« Weidenfeld hatte sich rasch gefangen, die anderen hingen an seinen Lippen.
Es war fünf nach acht und das Konferenzzimmer leer. Ungewöhnlich. Bentner klopfte an die Tür des Sekretariats, hörte die Stimme Almuths dahinter, sie schien zu telefonieren. Ein etwas lauteres »Ja!«, das an den Klopfer adressiert war.
»Frau Marschall tobt!«, verkündete die Sekretärin, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, als sei dies eine unerhörte Botschaft, von der die Zukunft des Planeten abhinge. »Herr Weidenfeld ist noch nicht da. Heute ist doch Konferenz!«
Bentner grinste. »Ja, furchtbar«, sagte er, die Neu nickte und schüttelte den Kopf. Almuth verwirrte ihn. Es war in der Firma üblich, sich zu duzen, doch die Sekretärin blieb eisern beim Sie.
»Aber in seiner Wohnung brennt Licht.« Woher sie das wisse. »Na, ich hab gerade mit dem Vermieter telefoniert.« Bentner grinste noch mehr. Er konnte sich
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