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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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du?
    Rickboy_16: nur so. du?
    Anna_lieb_dich: mona is meine freundin
    Rickboy_16: oki
    Anna_lieb_dich: wir lieben uns
    Rickboy_16: stehst auf mädis?
    Anna_lieb_dich: vll
    Rickboy_16: aso
    Anna_lieb_dich: mag auch jungs. willst nacktpic von mir?
    Es hatte keinen Grund gegeben, diese Anna ihrer Freundin Mona nicht in die Nichtexistenz folgen zu lassen, schon hatte Bentner die Pixity-Adresse von Annas Computer kopiert, um sie in die Datenbank der Gebannten einzugeben. Dann verglich er sie, warum auch immer, mit der Adresse jener anderen Anna, die sich gestern mit Jana bei den Matheübungen getroffen hatte. Die Nummern waren identisch.
    Rickboy_16: nein
    Anna_lieb_dich: gut. hätt dir auch keine geschickt. war test.
    Rickboy_16: und wenn ich gewollt hätt?
    Anna_lieb_dich: wär ich weg gegangen
    Rickboy_16: oki. könnst hier ja eh keine schicken
    Anna_lieb_dich: nee aber icq oder so
    Rickboy_16: hab ich nich
    Anna_lieb_dich: gut. wie bist hier rein gekommen? Hast pw?
    Rickboy_16: yep
    Anna_lieb_dich: kennst mona?
    Rickboy_16: yep. Aber nich gut.
    Anna_lieb_dich: mag dich
    Rickboy_16: ich dich auch. *rotwerd*
    Anna_lieb_dich: hihi
    Dann war sie verschwunden. Und tauchte, wie ihr anderes Ich, wieder auf und verschwand und tauchte auf und erzählte. Niemals sprach Anna14 Rickboy an, niemals Anna_lieb_dich Jana. Bentner wertete die Protokolle aus, sah, dass Anna14 nur mit Mädchen redete, Anna_lieb_dich nur mit Jungs und erstaunlicherweise am längsten mit solchen, die nicht waren, was sie vorgaben. Er verfolgte sie, las die Gespräche, konnte nicht fassen, wie sich diese Anna in andere Chats locken ließ, die von niemandem betreut wurden, ein kleines Mädchen in den Fängen eines perversen Mannes.
    Anna14 hingegen interessierte sich scheinbar nur für Mathematik, überhaupt für Schule. Sie wirkte manchmal altklug, sprach auch selten mit Mädchen, die älter waren als sie, gab ihnen gute Ratschläge, warnte vor allem vor den Gefahren von Pixity, war das Gegenstück ihres Alter Ego, jener leichtlebigen Anna_lieb_dich, die mit den Jungs zu spielen schien, sie anheizte, mit ihnen kokettierte. Bentner war ratlos.

    Weder die eine noch die andere Anna ließ sich an diesem Nachmittag blicken. Bentner hatte Jana und Rick auf zwei Rechnern losgeschickt, steuerte und verfolgte ihre Bewegungen auf den Monitoren, fing einige extradumme Fakes und schickte sie zum Teufel, redete mit liebestollen oder schüchternen elfjährigen Mädchen und hormonell übersteuerten Jungs, pickte sich ein Stück kaltes Fleisch aus dem Döner genannten Desaster, das ihm Lisa nach der Mittagspause vorbeigebracht hatte, natürlich ohne ihm das Restgeld auszuhändigen, was aber völlig in Ordnung ging.
    Er folgte biene123, der ohne seinen Partner in Crime nach Gelegenheiten Ausschau hielt, wenngleich ohne Erfolg. Das Duo belästigte ihn seit Tagen mit »persönlichen Nachrichten«, sie, Jana, möge sich endlich icq installieren. Man wolle eine »geile und gleichberechtigte Dreierbeziehung« beginnen, sich auch mal treffen, so wie sich biene und caro angeblich einmal getroffen und bis zur Ohnmacht geliebt hatten.
    Toller Trick, musste Bentner anerkennen. Sie bescheinigten sich gegenseitig die Weiblichkeit und überzeugten damit unbedarfte Vierzehnjährige. Er entschloss sich, tatsächlich icq zu installieren, um bienes und caros weitere Vorgehensweise genau zu studieren.
    Gegen drei – die Reste des Döners hatte Bentner gerade dem Papierkorb in den Rachen geworfen – kam es zu einer jener Begegnungen, die sich nicht vermeiden ließen, zwei Männer vor ihren Pissbecken, die Augen stur den Kacheln zugewandt, vom Geräusch des herausgepressten Urins peinlich berührt.
    »Ich müsste mal mit dir reden«, sagte Weidenfeld mit leicht nachhallender Stimme.
    »Worüber?«
    »Mir ist da was Seltsames passiert. Vielleicht nur ein Scherz oder Missverständnis oder nicht wichtig …«
    Bentner verkniff sich einen Kommentar, zog den Reißverschluss hoch und beeilte sich, als erster am einzigen Waschbecken zu sein.
    »Kannst ja gleich mitkommen, wenn du grad nichts Wichtiges …«
    Tja, mein Lieber, dachte Bentner, da bleibt dir der Satz im Maul stecken. Nichts Wichtiges.
    »Hm«, machte Bentner und wusch sich die Hände, Weidenfelds Atem im Genick. Er schaute in den Spiegel, sah das Gesicht des anderen hinter sich, sehr ernst, die Züge nicht von den Gedanken an Bilanzen zur Maske neutralisiert. Aha, dachte Bentner, eine neue Taktik, irgendetwas Pseudomoralisches,

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