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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Karibikinsel wollte, und Bentner froh darüber war, erschöpft von seinen Argumenten, die für Anna keine waren.
    Trippelschritte. Ein paar Parkettbretter knarrten, die üblichen Verdächtigen. Hallo? Gehörte wahrscheinlich auch zu diesem scheiß Film. Kino, das erst aufhört, wenn man die Augen öffnet. Er versuchte es. Ein schlieriges Grau mit hellen Punkten. Eine schnelle Bewegung am linken Bildrand. Hallo?
    Er schaffte es, sich auf den Ellenbogen abzustützen, der Schwindel kam sofort, ein Kopf wie eine Waschmaschinentrommel im Schleudergang. Jetzt sah Bentner die Umrisse des Kleiderschranks; immerhin. Versuchte aufzustehen. Es gelang nach der Ewigkeit von zwei Minuten. Die Jacke wurde ausgezogen, irgendwohin geschleudert. Der Gestank blieb, ein hartnäckiger Gast auf den Nasenschleimhäuten.
    Endlich auf den Beinen, unendlich vorsichtige Schritte zur Wohnungstür, auf einem dünnen Seil über einer bodenlosen Schlucht. Die Tür war geschlossen. Bentner erreichte sein Arbeitszimmer nach einer größeren Expedition. Ein gleichmäßiges Geräusch wie ein fernes elektrisches Gerät. Hallo?
    Er tastete sich an der Schreibtischkante vor, streckte den rechten Arm aus, fühlte etwas Warmes. Der Laptop. Er war eingeschaltet. Bentner blinzelte und sah auf den Bildschirm. Pixity lag in vorweihnachtlicher Erwartung.

ETWAS ERTRÄNKEN
    Hinter Bentner lag eine Nacht, in der er zu müde zum Schlafen und zu wach zum Denken gewesen war, eine Nacht, in der Kaffee gekocht wurde, von dem, als er ihn trank, Bentner behauptet hätte, er sei nie gekocht worden. Sieben Mal Zähneputzen, ausgiebiges Duschen, das noch schmutziger machte, ein Film wie Öl auf der Haut.
    Gegen drei Uhr morgens hatte sich Rick in Pixity eingeloggt. Die Stadt schlief. Kaum eine Figur bewegte sich, manche hockten regungslos in ihren Räumen, Pixies, deren Besitzer ihre Rechner über Nacht nicht ausschalteten oder vor den Bildschirmen eingeschlafen waren. Eine paar Schlaflose irrten durch die leeren Zimmer, durchmaßen das Foyer der Schule in Erwartung von ihresgleichen, Schlaflosen, mit denen man Sprechblasen austauschen konnte, um danach auseinanderzugehen.
    Auch Bentner schlief ein. Erwachte und schlief ein. Erwachte und kochte abermals Kaffee. Rauchte zu viel. Dachte an offene Türen, die verschlossen waren, heruntergefahrene Rechner, die auf vollen Touren liefen. Alles sehr merkwürdig, alles nicht zu erklären oder sehr leicht zu erklären, alles eine Frage, wie tief man in die Welt eindringen wollte.
    Bentner begab sich ins Badezimmer, hielt den Kopf unter den kalten Wasserstrahl, fröstelte und wusste noch nicht, dass ihn dieses Frösteln den ganzen Tag nicht verlassen sollte. Sein Wagen stand im städtischen Parkhaus, man würde wieder mit dem Zug fahren müssen, es war Zeit für ein ausgiebiges Frühstück, eine Scheibe trockenes Toastbrot, für dessen Verzehr man länger brauchte als für den eines opulenten Abendessens. Die Jacke lag noch stinkend in einem Winkel des Schlafzimmers, Bentner trug sie ins Bad, warf sie in die Wanne, kippte einen Becher Waschpulver drauf und ließ heißes Wasser einlaufen. Das würde die Jacke endgültig ruinieren, so dass man sie beruhigt wegwerfen konnte.
    Am Bahnhof lärmten Schulkinder, malträtierten und neckten sich ebenfalls mit Sprechblasen. Das war Pixity in Perfektion, dreidimensional mit fotorealistischen Figuren, fehlerfrei programmiert.
    Junge mit Hose unterm Hintern: Ey, hast Mathe, Alter?
    Junge mit Punkfrisur: Oh leck mich, neeeeeee!
    Junge mit Hose unterm Hintern: Schreib die im Zug von Ayse ab!
    Junge mit Punkfrisur: Ey Alter, von der Türkenfotze?
    Gib mir deine Pixity-Adresse, du Idiot, und ich kick dich raus, dachte Bentner, sein rechter Zeigefinger zuckte.
    Im Abteil saß er von drei Mädchen eingekeilt, alle in Annas Alter, mit Multimediahandys beschäftigt, von denen aus fleißig Schicksalsbotschaften hinaus geschickt wurden, »bb 4ever, wennst mit der schnalle ins bett gehst is schluss mit uns«, Drohungen wurden formuliert, Tröstungen wechselten ihre Besitzer. Bentner war müde, er durfte nicht einschlafen, die Fahrt war nur kurz, das monotone Geräusch der Maschine eher lächerlich als bedrohlich.
    Wie sie dastand, halb noch in ihrem Büro, halb schon auf dem Flur, das Türviereck ausfüllte, ganz in Schwarz und rundrückig. Eine Fastwitwe, eine Halbwitwe, eine Pseudowitwe.
    »Moment, Ihre Post«, sagte Almuth Neu als erstes und zwang Bentner, stehen zu blieben, es nicht bei dem flüchtigen

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