Pixity - Stadt der Unsichtbaren
ob es Bentner allein schaffe, er bejahte, sie schloss auch hier die Tür auf.
Das Wohnzimmer war spartanisch eingerichtet, nichts weiter als ein großes blaues Sofa, ein Couchtisch, ein Fernseher auf einem Rollwägelchen, ein Regal mit ordentlich eingestellten Büchern, etwas, das Bentner sowieso für die merkwürdigste aller Künste hielt. Parkettboden, stimmungsvoll knarrend. Wie erwartet die Decke himmelhoch über ihnen mit Stuckleisten und einer altertümlichen, viel zu kleinen Lampe.
Sie setzten Gorland auf das blaue Sofa, er kippte sofort um und begann, bevor sein Kopf leidlich sanft auf der gepolsterten Armlehne landete, zu schnarchen. Die Frau legte seine Füße hoch, zog ihm langsam die Schuhe aus. Es war warm im Zimmer, nicht zu sehr.
»Könnten Sie eine Decke aus dem Schlafzimmer holen? Müsste auf dem Stuhl neben dem Bett liegen. So eine blaugraue.«
Das Schlafzimmer. Bett, Schrank, Stuhl, ein großer Schreibtisch mit einem Desktopcomputer drauf, bei dessen Anblick Bentner sofort lachen musste. Selbst der Bildschirmschoner ruckelte seine bunten Schleifchen längst im Museum über das Rechteck, der Rechner selbst …
Der Rechner. Bentner trat näher, drückte auf die Leertaste, das Schleifenbasteln hatte ein Ende, eine beinahe unberührte Oberfläche wurde sichtbar, in der linken oberen Ecke allein vom Papierkorb besetzt. Ein paar schnelle Klicks und Bentner las die Pixity-Adresse, erinnerte sich. Gorlands Rechner stammte aus der ersten Generation der PixBiz-Hardware, sieben bei einem preiswerten Discounter erstandene Kisten, die irgendwann weder den Ansprüchen noch den Anforderungen genügten und ersetzt worden waren. Schrott.
»Nein!«, hatte Weidenfeld, ganz knausriger Buchhalter, damals eingewandt, »das Zeug ist noch nicht abgeschrieben. Könnte man nicht aufrüsten?«
Das sei doch für die Katz. Wenn du immer neue Teile in einen alten Rechner fummelst, verkorkst du die Kiste ganz. Weidenfeld wollte es nicht gelten lassen. Die Dinger liefen doch noch! Er hatte sie nacheinander einer dilettantischen Prüfung unterzogen, Alina und Michael und Bentner mit verschränkten Armen und lustigen Grimassen daneben, nur Gorland hatte gemurmelt, er nehme sich so ein Gerät gerne mit nach Haus, dürfe nur nichts kosten.
Bentner fand die Decke, brachte sie ins Wohnzimmer, wo Gorland inzwischen bis auf die Unterwäsche entkleidet auf dem Sofa lag.
»Sie sind der Programmierer«, sagte die Frau, stand auf, nahm Bentner die Decke aus der Hand, breitete sie über den Schlafenden aus, zupfte an den Enden.
»Ich koche uns einen Kaffee, wenn Sie mögen.«
Sie gingen in die Küche, von einem weißen Ungetüm beherrscht, immerhin gab es Sitzgelegenheiten und einen Tisch. Bentner sah der Frau zu, wie sie Kaffee kochte. Sie kannte sich hier aus. Hatte keine schlechte Figur. Das Gesicht eben. Sie war jünger als sie aussah, Anfang 40, schätzte er.
»Wie heißen Sie?«
Die Frau schaltete die Kaffeemaschine ein.
»Nora Gorland. Ich bin seine Schwester.«
»Aha.«
»Und«, sagte Nora Gorland weiter, »der Witz ist der: Seine Exfrau heißt auch Nora Gorland.«
Bentner überlegte, ob er darüber lachen sollte.
Sie setzte sich ihm gegenüber, sagte: »Ich hab seit ein paar Wochen keine Wohnung, wissen Sie. Hansi schläft auf der Couch, ich in seinem Bett. Lange Geschichte. Vergessen Sie’s.«
Sie schwiegen, bis der Kaffee fertig war.
»Hat er nicht noch eine zweite Wohnung hier? Sein Atelier …«
Nora sah ihn an, als hätte er sie nach der Bedeutung der Schwerkraft in Einsteins spezieller Relativitätstheorie gefragt.
»Ach so. Ja.«
Sie lachte jetzt tatsächlich.
»Er malt nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Hat er Ihnen von Südfrankreich erzählt?«
»Ja.«
»Klar. Vergessen Sie das. Er ist fast pleite. Seine Ex. Und überhaupt.«
»Sie kommen zurecht?«
Bentner trank seinen Kaffee aus, nickte der Frau zu, die an ihm vorbeischaute, trotzdem zurücknickte.
»Sicher komm ich zurecht. Danke für Ihre Hilfe. Wissen Sie, was mein Bruder über Sie gesagt hat? Aber nicht böse werden.«
Er werde nicht böse.
»Dass Sie der Intelligenteste und der Dümmste seien von denen.«
Bentner lachte.
»Stimmt. Ich mag Ihren Bruder. Tut mir leid, dass …«
»Sie können nichts dafür. Sein Ding. Er vermasselt immer alles. Gucken Sie sich mal um. Früher hat’s hier wirklich wie bei Picasso unterm Bett ausgesehen. Überall Bilder und Farbtöpfe und, und, und. Er wird sich einen neuen Job suchen müssen.
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