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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Schneemänner rollend, zickige Holzöfen, die nicht durchzogen und schlimmstenfalls die ganze Bude in Brand setzen konnten. Schneider, der irgendwo anders war, hier oder doch hier, aber zu einer anderen Zeit. Das vierte Auto, das nicht kam.
    Dann erhob sich Schneider, schwenkte den kümmerlichen Rest Brühe in seiner Tasse und sagte: »Es wird immer kälter. Brrrr.« Auch Bentner stand auf.
    »Danke für die Gastfreundschaft. Und das hier.«
    Hielt Schneider die Tasse hin, der nahm sie ihm ab, murmelte sein »Nichts zu danken« und setzte hinzu:
    »Entschuldigung, dass ich Sie nicht hineinbitte. Aber erstens wollen Sie das Chaos eines alleinstehenden Mannes sowieso nicht sehen und zweitens habe ich nie in geschlossenen Räumen geraucht. Seit unsere Tochter da war, verstehen Sie. Ist doch klar. Ein Kind. Soll nicht in Nikotin groß werden.«
    Nun geschah etwas völlig Unerwartetes. Später sollte sich Bent­ner an Schneiders Gesichtsausdruck erinnern, als er seinen rechten Arm hoch und beide Tassen, die an zwei Fingern der Hand gebaumelt hatten, mit voller Wucht auf die Betonplatte der Veranda schleuderte. Es krachte, Scherben stoben auseinander, Bent­ner aber sah nur Schneiders Gesicht, in dem sich nichts regte, keine Wut, keine Trauer, kein Anzeichen von Wahnsinn, nichts von dem, was man erwartet hätte.
    »Entschuldigung«, sagte Schneider und starrte auf die Scherben. »Das sind die Dinge, die manchmal passieren müssen. Meine Frau hatte drei Fehlgeburten, bevor dann endlich … Wissen Sie, was man mit den Föten macht? Vierterfünftersechster Monat, unter 500 Gramm? Man wirft sie einfach weg. Oder schnippelt rum an ihnen. Man verbrennt sie. Die größeren kann man begraben, ist alles gesetzlich nicht so geregelt und dann ist plötzlich jemand tot, der niemals gelebt hat, zwei Jungen und ein Mädchen, und Sie kennen sie nicht und Sie denken trotzdem ein Leben lang darüber nach, was sie jetzt wohl gerade machen würden, mit vier oder mit vierzehn oder achtzehn, wie groß sie wären, wie dick oder schlank, wie es ihnen in der Schule ergeht, ob sie eher nach dem Vater oder der Mutter oder den Großeltern kommen, dann gehen Sie an irgendeiner Boutique vorbei, gucken ins Schaufenster und sehen Klamotten und überlegen, ob Ihre Kinder die wohl tragen würden oder nicht, und dann haben Sie endlich eine Tochter, eine echte, die lebt wirklich und dann ist es so, als hätte man sie weggeworfen, und dann denken Sie daran, wie es wäre, wenn sie nie gelebt hätte und das tröstet Sie auf einmal und dafür hassen Sie sich, verstehen Sie?«
    Er wartete Bentners Antwort, die nicht gekommen wäre, nicht ab, drehte sich einfach um und verschwand im Haus, wo gleich darauf ein Radio, ein CD-Player oder Fernseher bis zum Anschlag aufgedreht wurde und eine Musik erklang, von der Bentner wusste, dass Schneider sie nicht hören konnte.
    Warf man die Föten tatsächlich weg? Warum überlegte er sich das jetzt? Verließ das Grundstück, ging nicht zu Weidenfelds Häuschen, was sollte er auch dort, was hatte er überhaupt hier gewollt? Nein, er überlegte sich, ob man Föten tatsächlich wegwarf, verbrannte, ab welcher Schwangerschaftswoche sie eines christlichen Begräbnisses für wert befunden wurden. Er schritt auf dem Weg am See, blickte hinüber zum Lustschlösschen, ein Auto kam ihm entgegen, das vierte, vollbesetzt mit Mutter, Vater und drei Kindern, die ihm durch die Scheibe neugierige Augen machten. Eins, ein Mädchen von höchstens sechs Jahren, feixte ihn an, streckte die Zunge raus, Bentner feixte zurück, zog eine hässliche Grimasse (hatte er schon als Kind gekonnt), das Mädchen erschrak, seine Geschwister lachten und dann war das Auto verschwunden.
    Die Daten auf dem Stick. Er schob ihn in den USB-Schacht, wartete. Ihm war noch immer kalt, die Heizung aufgedreht, ein Teller mit zwei Halbbögen Pizzakruste neben dem Laptop, endlich die Liste der Dokumente, wie sie Bentner von Weidenfelds Rechner kopiert hatte.
    Natürlich fand er die Datei. Sie hieß lapidar »hardware_aktuell_2009«, hielt die Neuanschaffungen fest, listete die abgeschriebenen Geräte auf, darunter sieben Rechner mit jeweils einem Monitor, preisgünstige Ware, die ihren Zweck erfüllt hatte.
    Mit eindeutigen IP-Adressen des Netzwerks. Hinter zweien standen in Klammern Namen, Gorland und Weidenfeld, hinter den anderen der Vermerk »entsorgt«. Bentner loggte sich in die Pixity-Datenbanken ein, rief die Tabelle mit den IPs auf, startete einen Suchlauf,

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