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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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und Frühjahr.
    »Schwarz, ohne alles.«
    Schneider, der Radiator, Bentner. Drei Unbewegliche, die eine Weile über den Garten unter dem Schnee blickten.
    »Möchten Sie meine Decke? Ich besitze nur eine.«
    Bentner verzichtete dankend, er bleibe nicht lange.
    »Sie sind ein angenehmer Mensch«, sagte Schneider, »Sie reden nicht viel. Wie Ihr Kollege.«
    »Der redet nun gar nicht mehr«, sagte Bentner.
    »Stimmt.« Schneider kicherte, trank einen Schluck. »So reden wir über die Toten. Ob die das gerne hören würden? Was meinen Sie?«
    Bei Weidenfeld war sich Bentner nicht so sicher.
    »Ihr Kollege war jemand, der zuhören konnte, wenn einer ins Reden kam. So wie ich.«
    Das überraschte Bentner.
    »Doch, doch. Wie nennt man das? Empathie?«
    So nannte man das wohl.
    »Natürlich war mir von Anfang an klar, wozu ihm sein Hüttchen hier diente. Frauengeschichten. Geht in Ordnung. War er eigentlich verheiratet?«
    Immerhin das wusste Bentner.
    »Aha. Hm. Ich hab ihn immer für verheiratet gehalten. Wozu hätte er sonst herkommen sollen? Oder lebte er bei seiner Mutter?«
    Kurz lachen, kurz trinken, Bentner bot ihm eine Zigarette an, Schneider nahm sie.
    »Sie kennen ihn anders als ich«, sagte Bentner.
    »Dachte ich mir. Vielleicht deshalb. Jedes Ich braucht seine Wohnung. Oh. Ich philosophiere. Entschuldigung.«
    »Leben Sie ständig hier?«
    Schneider antwortete nicht gleich. Ein Auto war langsam vorbeigefahren, zwei Köpfe darin hatten sich den beiden Männern auf der Veranda zugedreht, neugierig, abschätzend, missbilligend.
    »Das sind die Wibergs vier Häuschen weiter«, erklärte Schneider. »Die kommen jeden dritten Tag oder so und schippen ihren Rasen schneefrei.«
    Sie stellten sich das schaudernd vor. Der Himmel war blaugrau, er zauderte, er überlegte sich etwas.
    »Das ganze Jahr«, sagte Schneider endlich. »So ungefähr. Nein, keine andere Wohnung mehr. Ich habe nur ein einziges Ich. Leider.«
    Bentners Beine waren warm, sein Oberkörper fror. Er begann leicht zu zittern, der Kaffee half nicht. Ein weiteres Auto fuhr vorbei, langsam, der Fahrer blickte geradeaus, hinter ihm türmten sich Päckchen und Klappstühle, aus dem Kofferraum ragte die Spitze einer Edeltanne, vorschriftsmäßig mit einem roten drei­eckigen Lappen gekennzeichnet.
    »Derwig. Ganz vorne, zweites Grundstück rechts. Ich nehme an, sie feiern Weihnachten hier. Wozu er die Tanne braucht, ist mir allerdings schleierhaft. Sein ganzer Garten steht voll davon.«
    Auch das stellten sie sich vor.
    »Ihr Kollege und ich – wir leben frugal. Kann man das so sagen? Eher nicht. Und er ist sowieso tot. Lebte. Einmal hat er einen dicken Monitor hinten auf der Rückbank stehen gehabt. Und einen Rechner im Kofferraum. Verschrotten, hat er gesagt. War das einzige Mal, dass er geladen hatte. Die Möbel bei ihm stammen wohl noch vom Vormieter. Glaub ich jedenfalls.«
    Bentner horchte auf.
    »Können Sie den Rechner beschreiben? Den Monitor?«
    Schneider überlegte.
    »Uh. Dickes Ding halt, wie ich schon sagte. Nicht einer dieser Flachbildschirme. Grau. Der Rechner? Auch grau. Alt, würde ich sagen. Aber ich kenn mich da nicht aus. Wichtig?«
    Nein, nicht wichtig. Oder doch. Noch etwas?
    »Irgend so ein blauer Streifen am Rechner. Oder … ich weiß nicht. Irgendetwas Blaues halt.«
    Die ausgemusterten Kisten. Also hatte auch Weidenfeld einen behalten.
    »Wann war das?«
    »September? Oktober? Scheint doch wichtig zu sein.«
    Nein, nicht wichtig. Sehr wichtig. Vielleicht.
    Und ein drittes Auto. Etwas schneller als die beiden davor. Wieder nur der Fahrer, er guckte kurz nach rechts, sofort wieder nach vorne.
    »Oh, der Chef«, sagte Schneider. »Mag mich nicht. Hier darf man eigentlich nicht wohnen, wissen Sie. Aber er kann nichts machen. Das Häuschen gehört mir. Pachtvertrag für 99 Jahre.«
    »Schon lange?«
    Schneider schien ihn nicht zu hören. Er nahm Tabak und Drehpapier aus seiner Jackentasche, produzierte eine dünne, krumme Zigarette, beugte sich über den Radiator zu Bentner, der ihm sein Feuerzeug hinhielt.
    »Fünf Jahre. Wir sind öfters hier rausgekommen. Liegt ja schön idyllisch. Der See, der Ausblick aufs Lustschlösschen. Sie hat hier gerne …«
    Vielleicht warteten sie auf das vierte Auto. Jedenfalls schwiegen sie jetzt. Freitag, dachte Bentner, ein Wochenende in der Kolonie, pfeif auf’s Wetter, Familien mit kaltem Kartoffelsalat und Würstchen, die man auf Kochplatten heiß machte. Kinder, in den Gärten riesige

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