Pixity - Stadt der Unsichtbaren
kann also keiner der Praktikanten gewesen sein.«
»Er?«
Lisa, die Zehen an Bentners Handflächen entlang tastend, sah ihn an, die Augenbrauen hochgezogen.
»Du hast recht. goldenesBlut gab vor, ein 15-jähriges Mädchen zu sein.«
»War Anna damals schon dabei?«
»Nein. Anna besorgte sich drei Monate nach dem Verschwinden von goldenesBlut ihren Pixity-Account.«
»Aber sie sucht goldenesBlut. Und findet ihn. Und der ist ihr Vater? Was bedeutet das?«
Tja. Was bedeutete das?
»Zu viele Unbekannte in der Rechnung. Ist Anna Anna? Sucht sie tatsächlich goldenesBlut oder läuft sie ihm – oder ihr – über den Weg? Sie behauptet, mit ihrem Vater in einem schmuddeligen Sexchat Kontakt zu halten. Wenn sie ihn gesucht und gefunden hat, was will sie dann noch in Pixity? Oder ist Anna gar nicht Anna? Ist Anna goldenesBlut?«
»Oh mein Gott«, sagte Lisa, »wo leben wir eigentlich? Keiner weiß, wer er ist und wer die anderen sind. So etwa?«
»So etwa. Spekulationen. Halten wir uns an Tatsachen. Claus hat zufälligerweise – glaube ich jedenfalls – sich den Praktikantenrechner mit nach Hause genommen. Er hatte ja seinen
eigenen Account und immer wieder nachgeschaut, was auf Pixity so passiert ist.«
Und es war einiges passiert. Die Rakete war durchgestartet, sie hatten manchmal vor Bentners Rechner gehockt und die Zugriffszahlen abgelesen, ein orgiastischer Moment, jedenfalls für einen wie Claus, nein, für sie alle.
»Du weißt ja selbst, wie das funktioniert. Wenn du dich anmeldest, wird auf deinem Rechner ein Cookie gespeichert. Eine simple Textdatei mit deinem Nick und deinem Kennwort. Wenn du dich später in Pixity einloggen willst, wird diese Textdatei automatisch ausgelesen, in den Eingabefeldern erscheinen Nick und Passwort, du klickst einfach auf Eintreten und bist drin. Sehr bequem.«
»Hm, ja. Und Claus will genau das tun, sich einloggen – und plötzlich hat er den Namen goldenesBlut.«
»Genau. Aber er loggt sich nicht ein. Das wäre in der Datenbank festgehalten worden. Er hat den Rechner vor etwa einem Jahr übernommen. Aber er merkt sich den Namen.«
Lisa nickte. Klang logisch. »Und jemand sucht nach genau diesem Namen auf allen Rechnern. Er war bei dir und hat geguckt. Er war bei mir und – wieso eigentlich? Ich kann ja goldenesBlut nicht gewesen sein, oder?«
»Kannst du nicht. Aber diese Person hat die Möglichkeit, auf die Datenbanken zuzugreifen. Sie kennt sämtliche Pixity-Adressen der PixBiz-Rechner. Du hast deine NastaschaX ja auch im Büro aktiviert und mit Anna geschrieben. Damit gehörst du dazu.«
»Wozu?«
Das wusste Bentner nicht. Er nahm Lisas Füße in eine Hand, hütete ihre Wärme, schenkte sich mit der anderen ein halbes Glas Wein ein, trank.
»Ich weiß nur eins. Nein, ich vermute es. Es hat ein Ereignis stattgefunden. Claus kennt den Namen goldenesBlut und dieser Name taucht irgendwann wieder auf. Claus knüpft eine Verbindung. Erinnere dich an das, was ich dir über objektorientierte Programmierung erzählt habe. Objekte. Eigenschaften und Methoden. Ein Ereignis löst eine Methode aus. Claus legt seine Dossiers an, um herauszufinden, welches der dort skizzierten Objekte diese Methode implantiert hat. Das heißt: Er sucht eine Person, der er etwas Bestimmtes zutraut, und es muss etwas Schlimmes gewesen sein.«
»Claus ist tot. Von dieser Person ermordet, die auch bei uns …«
Der Gedanke zog ihr das Blut aus den Füßen, Bentner spürte es an seinen Händen, drückte sie fester gegen Lisas Haut, rieb gleichmäßig, kreisend.
»Nein, nicht unbedingt. Gehen wir von zwei Personen aus. Eine, die sich in Pixity goldenesBlut genannt hat, eine, die wissen will, wer sich hinter goldenesBlut verbirgt.«
»Anna.«
»Vielleicht. Aber dann kann Anna nicht Anna sein. Kein vierzehnjähriges Mädchen. Sondern jemand, der für Pixity arbeitet und Zugang zu den Datenbanken hat. Aber lassen wir das. Wir wissen einfach zu wenig.«
»Ich weiß mehr«, sagte Lisa endlich. Nahm ihre Füße von Bentners Schoß, steckte sie in die Hausschuhe, schnurrte kurz wie ein Kätzchen am Ofen, schenkte sich neuen Wein ein, sagte: »Ich bin besoffen und das ist gut so«, stellte das Glas auf den Stuhl und begann zu erzählen.
»Gestern Abend also. chillerkiller gibt mir den Link für ihren Raum bei frauentalk. Ja, scheußlicher Chat. Musst dir nur mal die Namen von den Räumen dort angucken. ›Aufs frische Fötzchen gewixt‹. ›Mit den Eltern in der Sauna‹. Kotz, kotz, kotz.
Na
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