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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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ein privates, eines, das in der Zeitung steht oder nur im Gedächtnis weniger Menschen verbleibt. Aber das wäre eine Chance. Die Zeitung.
    Endlich wurde ein Stuhl gerückt. Die Person erhob sich, ihre Füße rutschten über das Parkett, sie näherte sich dem Bett und blieb an dessen Ende stehen. Jetzt betrachtete sie Bentner. Dieses elende Häufchen von einem Menschen, mit eingefallenem Geschlecht, weißlichen Schenkeln, sich unharmonisch hebender und senkender Bauchdecke. Sie bewegte sich dem Kopfende des Bettes zu, wieder raschelte etwas, hoffentlich das Taschentuch. Ja.
    Bentner schnäuzte sich dankbar, in dieser Sekunde liebte er die Person, sie rettete sein Leben. Man kann wieder durch beide Nasenlöcher atmen, man weiß, diese Person will einen nicht töten, es geht ihr nur darum, Bentner Angst zu machen. Okay, er wird sich einnässen und so vorgefunden werden, wie er selbst Lisa vorgefunden hat. Ist doch egal. Mein Gott, es gibt Schlimmeres. Er wird leben. Er wird nicht tot in seinen Exkrementen liegen.
    Allerdings: die Nase. Wenn ihn die Person verlässt, wird niemand mehr da sein, der sie mit einem Taschentuch reinigt. Die Person wird dafür sorgen, dass jemand unterrichtet wird, so hat sie es ja auch bei Lisa getan. Und wahrscheinlich wird es Lisa sein, die kommen wird. Die Wohnungstür offen, ja doch, ganz bestimmt, alles andere wäre Pfusch. Sie wird ihn sehen, nackt, sie wird daran denken, wie er sie gefunden hat, sie wird sich erinnern, wie sie sich vorkam, sie wird wissen, wie er sich jetzt fühlt.
    Und wenn niemand kommt? Dann würde man sich irgendwann nach einer Zigarette sehnen (eigentlich tat er das jetzt schon, gab es aber nicht zu), so blödsinnig kann das sein, bevor du stirbst. Nach einer Zigarette und dein Mund ist verklebt, gleich musst du kotzen und jetzt stellst du dir vor, dass man den Rauch auch durch die Nase inhalieren kann, hast du doch mal gemacht früher, zum Spaß, und dann hoffen, der Rauch mache die Nase frei. Oder du hustest. Klar, du hustest. Und dann bist du tot. Fast müsste man jetzt lachen. Aber wie klingt das mit Klebeband vor der Fresse, wie klingt das.
    Und dann passierten zwei Dinge gleichzeitig. Bentner dachte: Ich kenne diese Person. Es ist keine Fremde. Ich habe mit ihr geredet, wir haben zusammen gelacht, uns übereinander geärgert. Diese Person drückte, gerade als Bentner dies dachte, die Nase des Gefesselten zusammen. Nicht grob, aber so, dass er nicht mehr atmen konnte. Jetzt tötete sie Bentner. Genau jetzt.
    Bentner rührte sich nicht, wozu auch. Er wollte einen würdigen Tod, der ihm eine Minute des Sicherinnerns schenkte. Sich an die Zukunft erinnern, an all die Dinge, die nicht mehr geschehen würden. Die Nichtereignisse. Variablen ohne Werte, Links, die ins Leere liefen. Olivias Telefonnummer. Wie sie in einem brandenburgischen Provinznest eine Nacht mit Reden verbringen würden, bevor sie einschliefen oder übereinander herfielen. In einem schlichten Zimmer, das nicht mehr in dieser Welt sein würde, keine Verbindung mit dem Draußen, nicht einmal eine Tür, ein Fenster. Eine altertümliche Uhr an der Wand vielleicht, nein, am besten eine Standuhr mit Pendel und dieses Pendel würde die Zeit hinweg schaukeln.
    Die Person nahm ihre Hand von Bentners Nase. Reinigte sie abermals mit dem Taschentuch. Bentner japste nach Luft, hustete, schnäuzte sich brav, bemühte sich um gleichmäßiges Atmen. Die Person entfernte sich, verursachte fremde Geräusche, hantierte mit etwas. Näherte sich wieder. Und jetzt konnte Bentner riechen. Es roch nach Chloroform und der Geruch wurde intensiver. Dann berührte etwas Feuchtes die Nase, etwas Feuchtes auf etwas Weichem und Bentner schlief ein.

    Es war schon hell, als Bentner erwachte. Verschlafen und einen schlechten Traum gehabt. Er schlug die Bettdecke zurück, hob den Kopf, sah an sich und dem Schlafanzug hinunter. Schrecklicher Traum. Aufstehen.
    Es roch nach Chloroform oder etwas, das wie Chloroform roch. Der Laptop war an, aus dem Schlafmodus gerüttelt zeigte er frauentalk.de, die Seite eines Privatraums mit dem Namen »schmutziger Sex hier und jetzt«, Bentner las die letzten Eintragungen, zwischen 4 Uhr 30 und 5 Uhr, ihm wurde speiübel. In der
Küche lagen vier Handtücher auf dem Boden. Auf dem Tisch ein schmutziges Taschentuch, es gehörte zu Bentners Fundus, noch von Olivia gekauft, seit wann kaufte er sich denn Stofftaschentücher und warum dachte er jetzt daran, wie ihm Olivia diese Taschentücher gekauft

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