Pixity - Stadt der Unsichtbaren
oh Mann«, sah zu Gorland rüber, der in seinem Tequila einen endlosen Roman zu lesen schien, sagte wieder »ciao« und erhielt keine Antwort, stand auf, steckte Rigo an der Theke einen Schein zu, war weg.
»Da geht sie hin«, sagte Gorland, ohne die Lektüre seines Getränks zu unterbrechen.
Als Gorlands Schwester nebst Liebhaber das Taco’s betrat, war Bentner gerade aufgestanden, hatte seinem Nebenmann auf die Schulter geklopft und Rigo hinter seiner Theke ein Zeichen gegeben.
»Bis bald.«
»Ja.«
»Frohe Weihnachten?«
Das Fragezeichen nur leicht andeuten. Gorland nickte nur.
Im Vorbeigehen ein kurzer Gruß für das entspannte Pärchen, ein Schein für Rigo, der sich gar nicht erst bemühte, nach Wechselgeld zu suchen. Und raus. Frische Luft, ein geschwärzter Himmel, die Kälte war erträglich, Schnee lag noch dort, wo das Schattenreich sein Territorium auch tagsüber behauptete.
Im Briefkasten Olivias Weihnachtskarte. Bentner las sie auf der Treppe, es gab nicht viel zu lesen, nur den üblichen Gruß zum Fest, aber ganz unten eine Reihe Zahlen. Bentner lernte sie auswendig, repetierte sie mehrmals, steckte die Karte weg, als er seinen Hausschlüssel aus der Jackentasche kramte.
Er machte kein Licht im Flur, kannte den Weg in die Küche, nur wenige Schritte. Griff nach dem Schalter, spürte ihn, dann wurde sein Kopf nach hinten gezogen und Bentner schlief ein.
DURCH EIN NASENLOCH
Ach, wie herrlich, dachte Bentner, als er erwachte. Es war finster, kein zuckender Abglanz von Weihnachtsbeleuchtung erhellte das Zimmer und für einen Moment keimte die Hoffnung, das Fest könne schon vorbei sein.
Die Augenlider klebten aneinander, das war unangenehm. Bentner versuchte den Mund zu öffnen, aber der ließ sich nicht öffnen. Was immer Augen und Mund verklebte, es musste weggewischt werden. Die rechte Hand musste zum Gesicht; sie weigerte sich. Man konnte sie anheben, dann hielt etwas sie zurück. Ebenso die linke Hand und beide Füße.
Bentner lag ausgestreckt auf dem Bett. So musste es sein, er konnte sich ja nicht sehen. Er konnte nur noch hören und riechen, er hörte nichts und er roch nichts. Wenigstens atmete er, das war zu hören. Aber wie. Durch zwei Nasenlöcher, von denen das eine mit Schleim fast gefüllt schien – das bisschen Luft, das noch ein- und ausdrang, machte ein dummes rasselndes Geräusch – und das andere langsam daran ging, sich mit Schleim zu füllen. Ordinärer Rotz, dachte Bentner. Ich sterbe an ordinärem Rotz und ein simples Taschentuch wäre meine Rettung.
Dann bewegte sich etwas im Raum. Er konnte es hören, es war ein Geräusch, wie es Füße verursachen, die über glattes Parkett schleifen. Als ginge da jemand auf Strümpfen. Da ging jemand auf Strümpfen. Näherte sich dem Bett, näherte sich Bentner. Blieb stehen. Ein anderes Geräusch, zu leise, um identifiziert zu werden. Papier? Kleiderstoff? Eine Art Luftzug – eine Art Luftzug? Was soll das sein? –, der über die Wange strich. Vielleicht eine Einbildung. Die Nase wurde zusammengequetscht, jetzt ist es vorbei, dachte Bentner. Aber es konnte ein Taschentuch sein. Es musste eines sein. Er schnäuzte hinein. Einmal, zweimal, dreimal. Das Taschentuch, wenn es denn eines war, drückte die Nasenwände zusammen, wurde in einer fließenden Bewegung von hinten nach vorne gezogen. Bentner atmete ein, atmete aus. Das rasselnde Geräusch war nicht mehr zu hören, die Luft drang ruhig in seinen Körper, verließ diesen ebenso.
Bentner war nackt, das merkte er jetzt. Er spürte das Betttuch, nichts lastete auf seiner Haut, nicht das kleinste Stück Stoff. Die Schritte der Person entfernten sich. Eine Frau, schloss Bentner, so geht nur eine Frau. Lächerlich. Er hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, wie eine Frau ging, wie ein Mann ging, und eigentlich war es auch unwichtig. Dann wieder Stille. Nur das eigene Atmen und, wenn man genau hinhörte, die durch die Wände und Fenster gedämpften Geräusche vorbeifahrender Autos.
Wie spät konnte es sein? Noch früh. Kein Berufsverkehr. Aber nach Mitternacht wohl. Man musste sich auf die Verkehrsfrequenz konzentrieren. Ja doch, zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens, über’n Daumen mal. Der Laptop brummte. Jetzt hörte Bentner auch das.
Wenn nur die Nasenlöcher nicht mehr verstopften. Oder wenn doch: Wenn nur die Person mit dem Taschentuch wiederkäme. War da schon etwas? Er zog die Luft tief ein, etwas Klebriges schoss in seine Mundhöhle. Er versuchte den Mund
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