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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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habe keine Waffe dabei, dachte er. Vielleicht ist da jemand drin. Er schaute auf den Laptop, las.
    hallo schätzchen ich komm dann gleich mal vorbei
    ey kannst dir nicht mal was reinstopfen? Is ja lw nur so rumzuliegen
    schlecht rasiert schätzchen
    Auch Jan war noch im Raum. Oder nur eingeloggt und längst anderswo, hinter der Tür, in Alinas Schlafzimmer. Oder irgendein anderer Glücklicher aus der Nähe, einer, der zu viel Alkohol
getrunken hatte, einer von denen, die an Heiligabend die Wände anstarrten und dann einen Monitor und darauf einen zweiten, kleineren Monitor und sich irgendwann ins Auto setzten, eine Wohnung betraten, einer hilflosen Frau beischliefen. Bentner stieß die Tür langsam auf. Die ließ sich das ohne ein Geräusch gefallen.
    kommst so wenn dich andere angucken süsse?
    hallo? Was ist denn da los? Brauchst du hilfe? Läuft da was was nicht laufen sollte? Soll ich die polizei schicken?
    yep schick der mal die bullen. Die wollen an weihnachten auch ma *fg*
    Die Schlafzimmerbeleuchtung konnte über einen Dimmer geregelt werden. Er hatte den Raum in ein rötliches Licht getaucht, das man für bordellmäßig halten konnte, wenn man wollte. Der Rechner stand auf einem Stuhl am Fußende, durch ein paar unterlegte Socken ein wenig schräg gestellt, beinahe eine professionelle Kameraposition, vielleicht nannte man das die Totale, man sah, was man sehen musste, und Alina sah es auch, mit einem Kissen unter dem Kopf.
    Sie schien ihn nicht wahrzunehmen. Es mochte sein, dass sie las, was man über sie schrieb, dass man ihre Stiefel geil fand oder verlangte, wer auch immer für dieses Arrangement verantwortlich sei, solle die Kamera besser zentrieren und die interessanteste Stelle hervorheben. War eben eine Scheißqualität hier, im Grunde nichts sonst als ein in ein Flashfilmchen eingebettetes Video. Da gab es anderswo bessere Qualität.
    Erst als Bentner einen weiteren Schritt in das Zimmer machte, wandte ihm Alina das Gesicht zu. Sie schniefte. Zog den Rotz hoch, es pumpte zwei-, dreimal hektisch in ihrem Brustkorb. Bent­ner wusste, was in ihr vorging, wie sich alles auf ein noch freies Nasenloch konzentrierte, dass sich die ganze Welt um diese verfluchte Öffnung drehte. Sie starrte ihn an wie einen Gott oder einen Teufel.
    Er hielt das Kameraauge mit einer Hand zu, schaute auf den Bildschirm und vergewisserte sich, dass das Mikrophon nicht aktiv war. Dann drehte er sich um, ging aus dem Zimmer, hörte hinter sich Alina gegen das Klebeband über ihrem Mund schreien und ihren Kopf, der aus geringer Höhe auf das Kissen zurückgeschleudert wurde. Sie sollte ihre Kräfte sparen. Sich nicht bewegen. Die Gefahr, dass beide Nasenlöcher verstopften, wurde größer, wenn man nicht ruhig und gleichmäßig atmete. Und Bentner hatte kein Taschentuch dabei und nicht die geringste Lust, eines aufzutreiben.
    Er lief durch alle Zimmer, vergewisserte sich, dass er alleine war. Den Laptop trug er bei sich, überprüfte, was Alina tat, wie das Band vor ihrem Mund vibrierte, wenn sie ihm Töne entgegenschrie, die man aber nicht hören konnte. Inzwischen drängten sich mehr als achtzig Personen im virtuellen Raum, die Sensation hatte sich herumgesprochen und Bentner überschlug, wie viele noch Platz fänden, bevor das System kollabierte.
    Einige hatten ihre Kameras eingeschaltet, dickliche Männer mit ungepflegter Schambehaarung, dabei, ihr Sperma zu vergeuden oder dem einzigen Zweck zuzuführen, der keinen bleibenden Schaden anrichtete. Im Wohnzimmer stand Alinas zweiter Laptop, auch er eingeschaltet, mit einem Blick auf den Weihnachtsmarkt in Pixity, wo es wieder voll geworden war, viele kleine Mädchen und Jungen, die sich ansprachen und auf Antworten warteten, sich ihrerseits Antworten überlegten, auch in Panik gerieten, wenn sie auf die Fragen keine Antworten parat hatten, und sich lieber ausloggten.
    Vorbei. Du hast gerade mit einem süßen Mädel gechattet, sie hat dir gesagt, sie gehe in die und die Schule, dich gefragt, ob du eine Freundin hast und dann haben deine Finger, diese blöden Finger ein »yep« getippt, eine Lüge, aber könnte dich doch interessanter machen, oder? Und dann schweigt sie. Oder tippt zuerst »ok« und schweigt dann. Und du überlegst. Könntest ja schreiben: »Sry, hab mich vertippt, hab keine Freundin, hab aber schon eine gehabt«, aber ist natürlich saublöd. Dann hält sie dich für einen Doofi, eine Jungfrau und endlich schreibt sie: »Na, ich hab nen Freund« – und das wars.

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