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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Also off gehen. Allein sein. In der Küche macht die Mama Wurstbrote, die gibt es aber erst nach der Christmette, sind ganz gewöhnliche Wurstbrote, aber weil es sie erst nach der Christmette gibt, sind sie was Besonderes.
    Die Christmette. In der Stadt hatten die Glocken zu läuten begonnen, so spät war es schon. Bentner kehrte in Alinas Schlafzimmer zurück. Sie hatte sich beruhigt, versuchte regelmäßig zu atmen.
    »Wartest du auf jemanden?«
    Bentner hatte sich einen Stuhl aus der Küche mitgebracht, saß neben Alinas Bett, außerhalb des Kamerawinkels. Alinas Beine zitterten, glänzten vom Schweiß. Sie kämpfte gegen den Harndrang, presste all ihren Atem gegen die Nasenkanäle, Rotz schoss mit kleinen Bläschen aus den Löchern, floss träge zu den Lippen. Bentner überlegte, ob er sich eine Tasse Kaffee kochen sollte, ganz gemütlich, wie bei Schneider vor dem Häuschen.
    »Wartest du auf kleine Mädchen, Alina? Wenn du Pech hast, kommt ein besoffenes Schwein und macht einen Quickie mit dir. Legt dir ’nen kleinen Schein aufs Nachttischchen. Wenn du Glück hast.«
    Er hielt abermals das Objektiv zu, beugte sich zum Monitor, schüttelte, ein wenig zu theatralisch, den Kopf, schnalzte mit der Zunge, las vor.
    »Oho … GoldJunge möchte mehr Action sehen. Aber kannst ja nicht mit deinen gefesselten Händen. Und prallersack findet es richtig geil, wie du gerade zitterst. Das macht ihn an. Guck mal, er hat seine Cam angeschaltet. Willst ihm mal beim Wichsen zusehen? Er wartet bestimmt nur darauf, bis du urinierst. Oi, sind auch kleine Mädchen drin! Sechzehnjährige, die eigentlich Schwänze sehen wollen. Aber doch wohl nur Fakes, was? Sind die alle auf deiner Freundesliste? So richtig gute Internetfreunde?«
    Er hatte Mühe, nicht loszulachen. Ein ganz unnötiges, dummes Lachen, für das es keinen Grund gab, und vielleicht konnte er sich deshalb kaum beherrschen. Alina, der Augenkrebs. Ein lustiges und cleveres Mädchen, das er in einem mexikanischen Lokal kennengelernt hatte, das gar kein mexikanisches Lokal war, Alina mit dem eifersüchtigen Freund, der jetzt wohl schon eingeäschert war. Sie zitterte immer stärker, weil sie den Unterleib anspannte, die Muskeln zusammenzog, bis sie verkrampften. Sie zog den Rotz abwechselnd hoch und katapultierte ihn rabiat hinaus. Das Gesicht rot, der Schweiß auf der Stirn begann zu rinnen. Sie zwinkerte mit den Augen, die Flüssigkeit brannte. Sie kniff die Augen zu, stellte sich einen Alptraum vor, öffnete die Augen, um den Traum zu vertreiben, sah Bentner auf dem Stuhl sitzen, einen sehr ruhigen Mann, ein Bein über das andere geschlagen, einen Monolog haltend, und das war der Alptraum.
    »Jetzt sind wir doch am Ziel, Schätzchen, oder? Die Wirklichkeit nachahmen, erinnerst du dich noch? Hybrides Lernen, die Verbindung von Realität und Virtualität. Hat doch Michael gesagt, nicht wahr? Oder du? Doch, du warst das. Hast mal ein Seminar besucht und klang alles theoretisch, aber klang gut. Die Wirklichkeit nachahmen. Die Wirklichkeit erweitern. Das nur Vorgestellte konkret machen. Und das hast du jetzt.
    Nee, alles Unsinn. Du hast gar nichts. Du bist einfach nur ein Objekt. Objekt.kill(). Weißt du noch? Programmierung. Hast das schön gelernt. Wie man sich seine Objekte schafft. Wie man sie beliebig verwendet und nach Gebrauch vernichtet. Anna. Kennst du die überhaupt noch? Hast du noch den Überblick? Oder nur eine unter vielen?«
    Jetzt stellte er sich Alina tatsächlich beim Programmieren vor. Verrückt. Neue Versuchsreihe Layla-Anne, geht leider schief, das Objekt kackt ab, bringt das ganze System in Unruhe, nichts funktioniert mehr, alles nur Chaos. Raus damit, nächster Versuch. Nein, so war es nicht gewesen. Bentner wusste es, er hatte Wörter im Kopf.
    Sie hörte ihm zu, lag jetzt ruhig auf ihrer Schlachtbank, eine Frau, die ihre Glieder von sich streckte wie auf diesem bekannten Gemälde … nein, Ahnung von Kunstgeschichte hatte er nicht, aber Bentner entsann sich, er hatte ein solches Bild einmal gesehen. Stopp, Olivia. Sie erklärte es ihm. Jemand hatte einen Kreis gezogen und einen Menschen in diesen Kreis gemalt, und die
ausgestreckten Gliedmaßen dieses Menschen berührten die Begrenzungen des Kreises. Sie hatte es ihm auch erklärt, aber er konnte sich nicht mehr erinnern. Offenheit, das Egozentrische, Fruchtbarkeit, ohne die der Mensch vom Planeten verschwinden würde. Pech für den Planeten.
    Er murmelte es wohl vor sich hin, denn etwas hallte

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