Pizza House Crash

muß der Mikroprozessor eines Computers die in der Programmiersprache verfaßten codierten Anweisungen in seine eigene Maschinensprache übersetzen, bevor er das Programm ausführen kann, bevor das Programm »läuft«.
    Wenn Programmierer ihr Programm geschrieben haben, »kompilieren« sie ihr Programm, den »Quellcode«, in Maschinensprache. Auf diese Weise braucht es weniger Platz auf der Festplatte und im Arbeitsspeicher und läuft außerdem schneller, weil es nicht erst in Maschinensprache übersetzt werden muß und weil der Rechner nicht in der Übersetzungsarbeit versackt. Ein zweiter Vorteil ist: Wenn jemand sich das Programm anschauen will, füllt sich der Monitor mit dem unverständlichen Kauderwelsch der Maschinensprache, und so ist dafür gesorgt, daß niemand erkennen kann, wie das Programm funktioniert, um daran herumzumanipulieren. Julian hatte sein Programm kompiliert. Um herauszufinden, was es tun sollte, mußten wir den Quellcode finden.
    »Scheiße«, sagte Warren und fuhr mit dem Finger am Monitor herunter. »Hier ist es. Aber es ist stückchenweise auf alle möglichen Dateien verteilt.«
    Julian hatte Teile des Quellcodes in mehreren separaten Dateien versteckt, die wir jetzt zusammenziehen, öffnen und überprüfen mußten. Das Programm war nicht groß, aber das Ganze erforderte doch Zeit. Bei einer Datei wurden wir schließlich fündig. Sie enthielt zwei Blöcke mit entscheidenden Anweisungen. In dem einen wurde der Computer angewiesen, alle dreihundertstel Sekunde eine Meldung auf den Monitor zu leiten. Der andere leitete den Rechner zu einem Datenfile, in dem diese Message gespeichert war. Wir fanden das Datenfile und öffneten es. Es enthielt einen Satz:
    VERGISS DEN SCHLÜSSEL.
    Warren konnte damit nichts anfangen, aber mir sagte es durchaus etwas.
    »Bildschirm ausdrucken«, sagte ich eisig, und mit hochgezogenen Brauen gehorchte er.
    Ein Tastendruck, und der Drucker schnarrte los und reproduzierte die Informationen, die auf den Monitor geleitet wurden. Ich stand auf und beugte mich über das Papier, das von der Walze hochgeschoben wurde. Die erste Zeile lautete: »VERGISS DEN SCHLÜSSEL.« Diese Message mußte also auch auf dem Bildschirm gestanden haben, aber wir hatten sie nicht gesehen. Wie sollten wir auch, bei dieser Wiederholungsgeschwindigkeit? Eine Message, die nur alle dreihundertstel Sekunde einmal aufleuchtete, war unterschwellig und für das bloße Auge nicht wahrnehmbar, aber gleichwohl konnte sie sich ins Unbewußte hineindrängen. Das erklärte, weshalb Julian unter seiner Maske erstickt war - und den Flug nach Kalifornien verpaßt hatte.
    »Das ist alles ein bißchen blöd, nicht?« meinte Warren zögernd und schaute mir mit besorgtem Blick ins Gesicht.
    »Laß uns mal das Dezimalkomma verschieben. Setz es auf 3,0 Sekunden, statt auf 0,03. Und dann mal sehen.« Warren beendete das Programm, nahm die einfache Veränderung im Quellcode vor, kompilierte das Programm wieder und ließ es laufen.
    Ich massierte mir mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel und schloß die Augen. Nach einem tiefen Seufzer begann ich zu erklären, wie Julian tatsächlich gestorben war. Warren sagte kein Wort. Es war drei Uhr, die dunkelste Zeit der Finsternis, und Warren und ich saßen düster in Julians Arbeitszimmer und wollten kaum glauben, was wir jetzt wußten.
    Ich war müde und fing an zu weinen, und da zog Warren seinen Schuh aus und nahm ein Silberpapierpäckchen heraus. »Papier und Tabak sind in meiner Jacke, Babe. Laß uns einen drehen.«
    Marijuana rauchte ich nur mit Warren. Es kam mir unschuldig und altmodisch vor, verglichen mit dem Zeug, das man heutzutage auf den nettesten Parties schnupfen und schlucken kann.
    Er kochte Kaffee, während ich langsam einen Joint drehte und anzündete. Der scharfe Duft wehte durch das Zimmerchen wie das Parfüm eines flüchtigen Schattens, und ich sog den blauen Rauch des glühenden braunen Harzes ein, bis mir die Lunge brannte und ein kühles Kribbeln durch meine Arme bis in die Fingerspitzen strömte. Ich lehnte mich ruhig zurück, als Warren mir den Joint abnahm. Beide schauten wir auf den Bildschirm.
    Eins und zwei und drei und...
    VERGISS DEN SCHLÜSSEL, sagten die grünen Buchstaben. Eins und zwei und drei und...
    VERGISS DEN SCHLÜSSEL.
    Eins und zwei und drei und...
    VERGISS DEN SCHLÜSSEL.
    Selbst in diesem langsamen Tempo war es hypnotisierend. Wir hatten einen neuen Dreh für die alte Geschichte vom Mord in einem stillen englischen Dorf