Pizza House Crash
entdeckt. Der Computer war der Täter. Der Computer hatte meinen Cousin ermordet.
Wir erzählten Anne nicht, was wir gefunden hatten. Warren hielt die Computer-Message anscheinend für einen Scherz, der schiefgegangen war; jemand beim Pizza-Haus müsse seine sexuellen Vorlieben gekannt und an seinem Programm herumgespielt haben. Barnaby hatte erzählt, die neue Firma sei an Programmen interessiert gewesen, die einem beim Abnehmen halfen; vielleicht hatte Julian das Programm an sich selbst mit der Message »Weniger essen« getestet und diese Message beim Einloggen nicht jedesmal überprüft. Die Erklärung war plausibel, aber ich hatte doch ein ungutes Gefühl dabei, das mich immer wieder von einem in böser Absicht herbeigeführten Tod träumen ließ. Erst wurde ich deprimiert, dann rachsüchtig, unterdessen lechzte ich wie verrückt nach Neuigkeiten. Als das Wochenende vorüber war, sagte Warren mir, in Anbetracht dessen, daß ich die meiste Zeit über die Nase ins Glas gesteckt hätte, sei ich Anne kein großer Trost gewesen. Einen schlechteren Zeitpunkt für eine private Krise hätte ich mir nicht aussuchen können. Seit Donnerstag abend hatte ich keine Zeitung mehr gelesen und keine Nachrichten mehr gehört, und als ich am Montag früh in die Redaktion kam, fühlte ich mich wie ein Soldat, der in eine verwüstete Heimat zurückkehrt. Während wir in einem stillen Dörfchen in Hertfordshire untergekrochen waren und uns damit zerstreut hatten, in einen fremden Computer einzudringen, hatte die Welt den größten Börsencrash seit 1929 erlebt.
Die brüllenden Übertreibungen der Schlagzeilen auf den Rush-hour-Boulevardblättern sagten alles. An dem Tag, als wir aus London weggefahren waren, hatten die an der Börse gehandelten Aktien um 120 Milliarden Pfund an Wert verloren. Aus Angst um den Zustand der US-Wirtschaft war die Wall Street eingebrochen. Der US-Dollar stürzte ab wie eine Bleikugel. Die Währungsmärkte gerieten in einen bedrohlichen Strudel, und angesichts des stündlich weiter verfliegenden Zutrauens in die amerikanische Wirtschaft wurden auch die Prognosen für den Welthandel immer düsterer. Der längste Bullenmarkt aller Zeiten war tatsächlich mit einem sehr großen Knall zusammengebrochen. »VERKAUFEN, VERKAUFEN, VERKAUFEN« schrie es von allen Seiten, als die frechenjungen Protagonisten im Spiel des globalen Aktienhandels Big Daddy Bär kennenlernten, der ihnen rechts und links was hinter die Löffel gehauen, sie ordentlich zerzaust und ihnen schließlich das ganze Spielbrett in die Luft geworfen hatte, so daß die lächerlichen Figürchen in alle Himmelsrichtungen geflogen waren.
Die Märkte befanden sich im freien Fall. Der FT-100-Index war von 2200 auf 1800 gegangen, der Dow Jones von 2500 auf 1900, der Nikkei von 26 000 auf 21 000, und der Hang Seng war so tief gesunken, daß der Handel in Hongkong eingestellt worden war.
Schuldzuweisungen flogen durch die Gegend wie Spinat vom Babylöffel. Man geißelte die USA wegen der Größe ihrer Etatsund Handelsdefizite, deren Umfang sich auf 300 Milliarden Dollar im Jahr belief. Die Finanzministerien der großen Industrieländer brüllten einander über Kontinente hinweg an und bezichtigten sich gegenseitig unverhüllt, die Probleme der Welt mit hohen Zinsen und zweitklassigem Wachstum immer weiter verschärft zu haben. Die Investoren hatten einen Blick auf den Alptraum einer Rezession erhascht und benahmen sich jetzt entsprechend.
Dem führenden Investmentberater der Wall Street, Pete Rechter, waren die Pferde zuerst durchgegangen, als die Zahlen für September herausgekommen waren, und er hatte in 72-Punkt-Lettern das Wort VERKAUFEN auf seinen Informationsrundbrief gedruckt. Von da an wurde der Staffelstab der Panik in rasendem Tempo durch die Zeitzonen der Welt weitergereicht - dank der rund um die Uhr globalisierten Devisen-Effekten- und Terminbörsen. Die gewaltigen institutionellen Investoren zeigten sich ebensowenig gelassen wie die privaten, die schon 1929 blindlings über die Klippe gestürmt waren. Die Rentenfonds, die weltweit Milliardenbeträge in den Aktienmarkt gepumpt und die aufgeblähten Preise auf den Monitoren der Händler immer weiter befeuert hatten, trieben die Märkte in den Abgrund.
Der Computerhandel beschleunigte die Katastrophe noch. Computerprogramme mit eingebauten Signalen, die sagten, wann man kaufen und wann man verkaufen sollte, wurden zum Sündenbock abgestempelt, als hätten sie den Marktregulatoren das
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