Pizza House Crash
nannte ihr die Nummer der Technology Week. Sie steckte die
Münzen in den Apparat, wählte und legte mit den Hörer ans Ohr. Ich ließ mich auf das Bett zurücksinken. Sitzen tat zu weh. Sprechen tat auch weh.
Max hatte noch nicht geschlafen; nach dem Tempo zu urteilen, mit dem er den Hörer abgenommen hatte, saß er noch an seinem Schreibtisch. Zuerst klang er besorgt, aber das war ein vorübergehender Ausfall: In Wirklichkeit war er sehr wütend, weil ich ihn nicht schon früher angerufen hatte. Am Abend war noch etwas passiert. In Nicks Wohnung war eingebrochen worden, und alles war verwüstet. Seine Dunkelkammer und sein komplettes Negativarchiv waren vernichtet. Ich wußte genau, worauf Nicks zerstörungswütige Besucher es abgesehen hatten - bestimmt nicht auf die schwarzmarmorne Seifenschale, das stand fest.
»Wo sind Sie, Georgina?« fragte Max.
»Ich bin bei... einem Freund.«
»Warum benutzen Sie dann ein Münztelefon? Sind Sie betrunken? Sie klingen komisch.«
Wenn ich nicht befürchtet hätte, daß es sehr wehtun würde, hätte ich geschrien.
»Bloß müde... Die Spur aufzunehmen hat länger gedauert, als ich erwartet hatte. Deshalb bin ich hiergeblieben. Das Telefon hängt im Flur. Lassen Sie uns morgen darüber reden - aber ich komme nicht sofort morgen früh.«
Mit einiger Mühe streckte ich den Arm aus und legte den Hörer auf die Gabel. Es dauerte noch eine Stunde, bevor ich zur Station hinunter gerollt wurde. Die Schwester teilte mir mit, niemand habe bei der Aufnahme seinen Namen hinterlassen; sie brachte mir einen jungen, sommersprossigen Polizisten mit großen Ohren und aschblondem Haar, der mit mir reden wollte. Ich sagte ihm die Wahrheit: daß ich mich an nichts erinnern konnte. Schließlich ging er, und die Schwester gab mir ein Mittel zum Schlafen.
Die gelbliche Decke schien sich zu drehen, als ich im Zwielicht der Station lag und den Geruch von Desinfektionsmittel und die Ausdünstungen unruhig schlafender Menschen einatmete. Die Nachtschwestern unterhielten sich leise im Dämmerlicht eines benachbarten Zimmers; ich sah ihre weißen Hauben, die sich hinter einem Beobachtungsfenster bewegten. Hin und wieder ging draußen im Korridor jemand mit schnellen Schritten vorbei. Es fiel mir schwer, mich zu erinnern, was eigentlich passiert war, aber ich bemühte mich angestrengt, einen Eindruck des Geschehenen wiederzufinden. Während ich gegen das Schlafmittel ankämpfte, das durch meine Adern rieselte, wich die Welt, an die ich mich zu erinnern suchte, immer wieder in den geistigen Schatten zurück, und Erinnerungen, die ich für immer los sein wollte, drangen in meine bruchstückhaften Gedanken ein.
Ich döste, und ich schrak wieder auf... erinnerte mich, daß ich versucht hatte, Max anzurufen... daß ich rannte und mich dann gegen zwei Männer wehrte, deren furchtbare Fäuste auf mich einhämmerten. Keine kreischenden Prostituierten diesmal, die mich retteten. Ein Spiegel... eine Londoner Stimme... ein asiatisches Gesicht. Das war es: Chinatown. Sie hatten mich nach Chinatown gebracht. Ich erinnerte mich an den Geruch des tropfenden Fleisches an langsam sich drehenden Spießen, an den Duft von Chilisauce und Süßigkeiten. Oder war es das Saigon? Wieso das Saigon? Wen kannte ich da? Eine zierliche Kellnerin in Schwarz. Nein, das war es nicht - das war etwas anderes, eine andere Geschichte. Ich konnte kein Taxi kriegen; Barnaby besorgte mir eins. Armer Barnaby. Ich hatte Barnaby gern. Nein, das war vorher.
Abgase, schreckliche Abgase. London ist so - dreckig. Erbaut auf jahrhundertealtem Müll. Loses Papier, Kartons und Dosen bedeckten die matschigen Straßen. Die Straßen verstopft von Autos, Bussen und zickzack fahrenden Kurieren. Zahnräder, große und kleine. Sie konnten einen umbringen, wenn man stehenblieb... wenn sie einen erwischten. Chinatown. Da ist immer eine Schlange vor diesem Parkplatz. Sie reicht zurück bis zur Feuerwache an der Shaftesbury Avenue. So viele Leu-te... warum halfen sie mir nicht? So müde. So schläfrig. Ausgepufft.
Das war es. Auspuffdampf, der Geruch von feuchtem Zement und Motoröl. Eddie nahm mich mit zum Grand Prix nach Brands Hatch, als wir uns gerade kennengelernt hatten. Er küßte mich oft. Der Krach der Motoren tat mir in den Ohren weh. Ich mußte sie mir zuhalten, um die Kopfschmerzen zu lindern, die furchtbaren Kopfschmerzen. Es hatte einen Fehlstart gegeben. Zerbeultes Blech. Niemand verletzt. Nur ich -ich hatte Kopfschmerzen.
Weitere Kostenlose Bücher