Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
reiße dich in Stücke.« Seine Stimme, sein Zischen, sprang neben ihrem Ohr auf und ab, erreichte aber nie vollständig ihr Gehirn. Sein Tonfall und seine Aussprache klangen vertraut – es war dieselbe Stimme, die sie, genauso wie alle anderen, in ihrem Traum gehört hatte.
Das ist kein Traum.
Das Gesicht der Kreatur verzog sich zu einem albtraumhaften Ausdruck blanken Hasses. »Und ich werde es tun, ganz langsam.« Als das Ding sprach, klappte sein Maul auf und wieder zu und entblößte dabei gelegentlich flache, zerbrochene Zähne. Die Mundbewegungen stimmten etwa so mit den Worten überein wie bei einer Marionette.
Gem stieß ihren Atem in einem Anflug von Zorn aus. Es kümmerte sie nicht länger, das war nicht real. Nichts von alldem war real.
Der Dämon dehnte sich immer weiter nach allen Seiten aus und wurde so viel zu groß für einen Raum mit solch einer niedrigen Decke. Immer mehr Klingen und Knochen ragten aus seinem Körper hervor, sodass er wie ein Stachelschwein aussah, das sonst nur in üblen Drogenräuschen vorkam. Gem stürmte nichtsdestotrotz vorwärts; sie wollte nichts anderes, als dieses Trugbild beiseitescheuchen und ihren Vater umschlingen, damit sie ihn beschützen konnte.
Der Schmerz von langen Klauen, die ihren Bauch durchbohrten und am Rücken wieder austraten, erreichte ihr Gehirn nicht sofort. Zuerst nahm sie zur Kenntnis, dass ihre Vorwärtsbewegung gestoppt worden war. Lediglich ihr blondes Haar schwang weiter nach vorn, fiel über ihr Gesicht und streifte die ekelerregende Haut ihres Angreifers. Unbewusst wischte sie die Strähnen mit drei Fingern zur Seite und schaute erst dann zu den Fingerklingen, die in ihr steckten. Keine Schmerzen, nicht einmal jetzt, als sie bemerkte, was passiert war; sie fühlte bloß, wie die Klingen ihren Magen durchstießen und gegen ihr Rückgrat schabten. Metallischer Geschmack sickerte ihre Kehle hinunter. Gem erstarrte vor Angst, dass auch nur die kleinste Bewegung sie in zwei Hälften schneiden würde.
Daddy, Hilfe ...
Der Arm der Kreatur spannte sich an, woraufhin Gem quer durch den Raum segelte. Dabei lösten sich die Klingen mit einem schmatzenden Geräusch. Eine Sekunde, bevor sie gegen das Dachbodenfenster prallte, riss sie die Arme hoch ...
... und landete hart auf einer Kirchenbank. Der Aufschlag – misstönend in ihren Ohren – verklang geräuschlos in dem Gotteshaus.
Sie wand sich in Qualen, hatte die Arme um ihren Bauch geschlungen und versuchte, ihre Organe darin zu behalten, wollte verhindern, dass sie sich über die Bank ergossen. Es hätten überwältigende Schmerzen sein müssen, doch sie fühlte nichts weiter als ihre Arme um sich herum. Gem starrte auf die Maserung des Holzes und wartete auf den Tod. Nichts geschah. Nicht einmal Blut war zu sehen. So bewegte sie erst den einen, dann den anderen Arm. Immer noch kein Blut, auch keine abtrünnige Milz, die auf den Boden fiel. Langsam, vorsichtig hob sie den Saum ihres Pullis; er ging ihr kaum bis zu Gürtel, doch sie hob ihn noch ein Stückchen höher und berührte ihren weichen, unverletzten Bauch. Keine klaffenden Wunden, nicht einmal ein Kratzer.
Sie holte tief Luft, um ihre Atmung zu beruhigen und ihren ungezügelten Herzschlag zu verlangsamen. Das war ein Prachtstück von einem Albtraum gewesen, eine dieser plastischen Abarten, die eine schwere Pizza vor dem Schlafengehen hervorzurufen pflegte.
Trotz allem was geschehen war, spülte eine Woge der Erleichterung über sie hinweg, als sie erkannte, wo sie sich befand. Sie saß auf der Bank in einer Kirche, die von hellem, farbigem Sonnenlicht, das durch die Wand aus Buntglasfenstern hereinschien, erhellt wurde. Das war die Kirche.
Gottes Kirche von nebenan. Wie sie einstmals gewesen war.
Er würde zurückkommen.
Gem sah sich langsam in Raum um, da jede plötzliche Bewegung diese Illusion zerstören konnte oder, was noch schlimmer wäre, den Schrei entfesseln, der irgendwo in ihrem Hinterkopf versteckt lauerte. Reihen von Kirchenbänken füllten die Halle aus, auch der Altar stand noch genau an derselben Stelle, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Das alles konnte nicht real sein; die Dinge waren nicht einfach zur alten Ordnung zurückgekehrt, nur weil sie das so gewollt hatte.
Nichtsdestotrotz roch der Ort vertraut. Er präsentierte sich leer – der einzige Zustand, in dem sie ihn je erlebt hatte, war sie doch nie bei den tatsächlichen Gottesdiensten zugegen gewesen.
Sie war bloß immer dann gekommen, wenn die Kirche
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