Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
schon geschlossen war; Gem war durch das einzige Kellerfenster geklettert, dessen Verschluss man, wie sie schnell herausgefunden hatte, einfach entsperren konnte Ein geheimes Detail, das sie lieber für sich behielt. Sie ließ sich in die schmale Nische im hinteren Winkel des Kellers hinab, indem sie sich an den leeren Bücherregalen beiderseits des Fensters abstützte und stromerte schließlich nach oben in die Kirche selbst. Sie war vorsichtig und bewegte sich zügig an den gläsernen Eingangstüren vorbei, um zu vermeiden, von den Nachbarn entdeckt zu werden. Gem war immer allein gewesen mit dem muffigen Geruch von Staub und dem zarten Vanillebukett einer längst vergessenen Kerze, das noch immer in der Luft verweilte. Das neue Haus der Watts’ hatte nach Pinienöl und Rosenwasser gerochen, doch dies stellte lediglich – wie sie sich selbst in Erinnerung rief – einen schlechten Traum dar. Die Luft hier, die Luft jetzt umgab sie wie der Duft eines alten Freundes.
Sie zwang sich zu einer aufrechten Haltung und schlug mit der rechten Handfläche auf den Sitz. Das Holz war hart und das Geräusch echote durch den Raum. Dieser Ort war real. Aber ... konnte Gott sie tatsächlich zu diesem Haus zurückgebracht haben? Zurück von den Dämonen ...
Die Dämonen. Gem sprang auf und rammte unmittelbar darauf ihr Knie gegen die Kirchenbank vor ihr. Sie fluchte im Stillen und sah sich um. Kein Anzeichen von dem Monster. Sie machte der Bank entlang einen Schritt zur Seite und erreichte den Gang, der links neben den Fenstern lag. Als sie sich im Wohnzimmer befunden hatte, war es Nacht gewesen; hier im Tageslicht allerdings explodierten die Farbinseln in den Scheiben mit erstaunlicher Brillanz.
Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Ich weiß es nicht , dachte sie. Ich weiß es nicht. Der Dämon und ihr Vater, die Watts, die das Gotteshaus gekauft hatten ... Immer weniger fühlten sich die Szenen, die sich im Haus der Watts’ abgespielt hatten, wie eine Illusion an, sie schienen eher entfernte, aber wahre Erinnerungen zu sein.
Die Scheiben hier waren alle mit Buntglas versetzt. Gem drehte den Griff des unteren Fensterabschnitts direkt vor ihr und schob es auf. Frische Herbstluft strömte herein und brachte einen kalten Hauch des nahenden Winters und den Geruch nach totem Laub mit sich. Sie drehte den Kopf zur Seite, um ihr Sichtfeld zu erweitern. Da stand ihr Haus, hell und ruhig im Licht des Nachmittags. Es gab keine Anzeichen, dass sich jemand zu Hause oder im Garten befand. Die Luft kühlte ihr Gesicht und dadurch wurde ihr bewusst, dass dies alles tatsächlich echt war.
Nein . Sie streckte sich, blickte zurück in die Kirche und musste blinzeln, um die Augen den Lichtverhältnissen im dunkleren Innenraum anzupassen. Das war nicht real. Nichts davon.
»Das ist nicht echt!«, rief sie und erschrak vor ihrer plötzlich erklingenden Stimme – sie konnte sich selbst wieder hören.
Was bedeutet das? Vielleicht ist es ... Seufzend ließ sie sich schwer auf die vorderste Kirchenbank sinken; sie hatte den Gedanken wissentlich nicht zu Ende gedacht.
Es fühlte sich so an, als säße sie hier bereits seit Stunden. Die kalte Luft sickerte von draußen durch das offene Fenster herein und überzog ihre Arme mit Gänsehaut, aber ansonsten war alles gut, alles würde in Ordnung kommen. Es fühlte sich genauso an, wie bei den wenigen Gelegenheiten, als sie hierhergekommen war, nachdem die Kirche geschlossen wurde. Das war noch vor der allerletzten Zeremonie im letzten Winter gewesen, bevor die Watts auftauchten. Joyce Lindu und ihre Tochter hatten die Sachen gepackt und waren weitergezogen, wie Ray Lindu es schon vor so langer Zeit getan hatte. Sie biss die Zähne zusammen und drehte den Kopf nach links und rechts – keiner da. Kein Dämon und auch kein Mr. Lindu. Gem war allein.
War Gott immer noch hier? Jetzt oder damals, als sich dieser Moment einmal ereignet hatte, hatte sie – allein in der leeren Kirche – mit so viel Leidenschaft geglaubt, dass er an diesem Ort lebte. Sie versuchte, sich zu erinnern, warum sie nie aus dem Haus gekommen war, um sich der Gemeinde anzuschließen, die regelmäßig jeden Sonntag eingetroffen war; als Lieder zur Orgelbegleitung gesungen wurden. Sie rief sich ins Gedächtnis, wie sie – manchmal – in ihrem Zimmer gesessen und vereinzelte Autos beobachtet hatte, die in der Straße parkten, während die Leute in Richtung der Kirche liefen, miteinander
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