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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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und sich die Haare raufte oder sabberte oder was auch immer ein ›verrückt gewordenes Mädchen‹ unter diesen Umständen so tat. Vielleicht war sie es und nahm es nicht wahr. Oder vielleicht war sie tot – tot, verdammt und in der Hölle ...
    Sie knurrte und schob den Gedanken eilig beiseite. Sie befand sich in der Kirche, in dieser Kirche, möglicherweise zum letzten Mal. Sie würde keine weitere Chance erhalten, wenn sie erst einmal, nun ja, da unten wäre.
    Oder?
    Sie rief sich die Kerze zurück ins Gedächtnis. Gem hatte sie nur ein einziges Mal an diesen Ort gebracht.
    Jemand schluchzte irgendwo in diesem Haus.
    O nein. Nein, nein, nein. Nicht das. Bitte , dachte sie.
    Sie stand auf, rannte zu der Kerze, wie sie es bereits letztes Jahr getan hatte und blies sie aus.
    Bitte nicht das , versuchte sie laut auszusprechen, und ihr Magen begann zu schmerzen, als sie erneut ihre Stimme nicht hören konnte. Sie sah nach unten zu ihrem Bauch, rollte den Pulli ein Stückchen nach oben, um sich zu vergewissern, dass die Stichwunden nicht zurückgekommen waren. Nichts. Die ruhige, traurige Stimme des Mannes drang abermals an ihr Ohr. Weinend, flüsternd. Gem zog ihr Oberteil glatt und griff nach der Kerze.
    Nicht schon wieder, sagte sie sich selbst. Geh jetzt!
    Das letzte Mal war sie nicht fortgegangen und augenscheinlich konnte sie es jetzt ebenfalls nicht. Sie setzte sich in Bewegung, fühlte, wie ihre Beine losmarschierten; doch es war ihr unmöglich, sich umzudrehen und in die entgegengesetzte Richtung zu laufen. So schritt Gem zur gegenüberliegenden Seite der Kirche, wo eine schmale Tür in den Vorraum und zum kleinen Wohnzimmer der Lindus führte. In der neuen und verbesserten Version der Watts’ gab es diese Tür nicht mehr – wenn dies alles echt und das hier der Traum gewesen war.
    Zum ersten Mal, seit Gem hier angekommen war, wünschte sie sich, dass dem so wäre.
    Die Stimme des Mannes wurde lauter, als sie die Tür öffnete. Während sie den Flur hinunterlief, drückte sie die Kerze vorsichtig gegen ihre Brust, darauf bedacht, das Wachs nicht über ihren Pulli zu verteilen. Ihre Schritte klangen viel zu laut. Das Jammern hörte auf. Auf dem halben Weg den Flur hinunter schrie Gem überrascht auf und sprang einen Schritt zurück. Das Wachs ergoss sich über ihr T-Shirt und klebte heiß am Stoff über ihrer linken Brust. Ray Lindu stand im Türrahmen eines Schlafzimmers und starrte sie an. Er hatte ein paar Falten, die sich um seine vom Weinen verquollenen Augen kräuselten, dennoch war er für einen Mann seines Alters immer noch gut aussehend.
    Er war zurückgekommen. Nach all diesen Jahren war der Abtrünnige zurückgekehrt, um sich von dem Ort zu verabschieden.
    »Du bist doch die kleine Gem Davidson von nebenan, nicht wahr?« Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte sich seine von tiefer Sorge geprägte Miene in sein übliches charmantes Selbst. »Obwohl ich glaube, dass die Bezeichnung klein nicht mehr unbedingt den Tatsachen entspricht.« Ein flüchtiger Blick, der eine Sekunde zu lange auf dem Fleck auskühlenden Wachses verweilte, weiter nach unten wanderte und sich kurz darauf wieder nach oben bewegte, sein Gesicht nun bar jeden Ausdrucks.
    Hilf mir hier raus, Gott. Warum passiert das erneut?
    Mister Lindu! Gem besaß noch immer keine Stimme, aber sie wusste, was sie damals gesprochen hatte. Dies war schon einmal geschehen, an dem letzten Tag, als die große Zeremonie stattgefunden und die Watts das Haus übernommen hatten.
    Er hob die Arme, nur ein klein wenig, und lächelte. Der Typ besaß tadellos weiße Zähne. »Höchstpersönlich. Was verdanke ich das Vergnügen deiner Gesellschaft?« Er trat nun gänzlich in den Flur.
    Gem machte einen Schritt zurück. Sie mochte ganz und gar nicht, wie er das Wort Vergnügen betonte; mochte es damals und auch jetzt nicht.
    Ich bin ... ich bin einfach. Ich weiß auch nicht. Einfach ...
    Was konnte sie erzählen?
    »Einfach zu Besuch?« Immer noch dieses halbe Lächeln. Fast schon ein Zähnefletschen. Sie hatte den Man als charmant in Erinnerung; er war immer freundlich gewesen, und dies stellte auch den Grund dar, weshalb alle überrascht waren, als er eines Nachts seine Frau und Tochter aus heiterem Himmel verlassen hatte. »Ich auch«, fügte er hinzu und sah sich hastig im Flur um. »Einen letzten Blick auf alles werfen. Hier hat sich in den letzten sechs Jahren überhaupt nichts verändert.« Er zuckte mit den Schultern. »Nichts verändert sich jemals

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