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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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Moment hatte Bill sie noch sicher an seine Brust gedrückt, und im nächsten war sie allein und schwang suchend die Arme, um sich mit ihm wieder zu vereinigen. Da befand sich nichts um sie herum, nicht einmal die Couch. Ihre Hände schossen zum Gesicht und kratzten an der Maske, die sich über ihre Augen gelegt hatte. Sie grub die Finger hinein und hörte erst auf, als der Schmerz von verletztem Fleisch einsetzte. Etwas Warmes sickerte ihre Wangen hinab, lief unter der Augenbinde entlang, die sie nicht berühren konnte. Blut. Sie hatte sich selbst verletzt.
    Bill!
    Ihre Stimme war verschwunden. Die Finsternis hatte sich um sie herum ausgebreitet und dämpfte die Geräusche der anderen. Sogar das Pochen ihres Herzens, das sie selbst dann hätte hören können, wenn lediglich ihre Ohren verstopft wären, fehlte. Jede Faser ihres Körpers fühlte sich krank vor Angst. Sie versank in dieser Furcht, war dies doch viel schrecklicher als alles, was sie jemals zuvor erlebt hatte.
    »Jemals?« Die feixende Stimme befand sich direkt hinter ihr. In einem Reflex schwang Seyha den Arm aus, aber berührte gar nichts.
    »Niemals?«Noch mehr Gelächter.
    Instinktiv wusste sie, was das zu bedeuteten hatte und versuchte krampfhaft, an etwas anderes zu denken – an irgendetwas. Sie stolperte in der Hoffnung vorwärts, eine vertraute Form zu fassen zu bekommen; sogar der Arm von Gem Davidson wäre jetzt tröstlich gewesen. Vorsichtig ging sie weiter, ohne zu wissen, in welche Richtung sie sich bewegte, war sie doch überzeugt, dass sie bald in irgendetwas oder irgend wen hineinlaufen würde. Sie rief die Namen der anderen und vernahm keines ihrer eigenen Worte. Zwei Schritte, fünf, zehn. Zu weit! Sie fühlte, wie sich ihre Beine bewegten, aber sie nahm nicht wahr, dass sie sich überhaupt regte. Die dunkle Stimme kehrte nicht zurück. Vielleicht war sie jetzt weit genug davon entfernt.
    »Du kannst mir nicht entkommen, Doung Seyha!«, schrie eine wütende Stimme direkt in ihr Ohr.
    Seyha rannte. Urplötzlich trafen ihre Schienbeine auf etwas Hartes und Unnachgiebiges. Sie fiel nach vorn und taumelte unbeholfen auf eine Bank. Hartes Holz, eine Kirchenbank. Das Foyer! Sie strich mit den Händen über die Lehne und war über alle Maßen dankbar für etwas Vertrautes, an das sie sich klammern konnte. Die runden Einfassungen, die normalerweise die Kirchenbänke aufwiesen, fehlten. Das Holz fühlte sich viel zu kantig an und war sehr derb zurechtgeschnitten. Als sie mit der Hand über die Oberfläche fuhr, zuckte sie vor Schmerz zurück. Sie riss ihre Hand davon weg, und mit den Fingern ihrer anderen, zog sie einen hervorstehenden Splitter heraus.
    Das hier stellte keine der Bänke im Foyer dar!
    Sogar durch diesen äußerst begrenzten Kontakt kam Seyha das Gefühl nur allzu vertraut vor, erkannte den unsicheren Stand der Bank auf dem Boden wieder.
    Lass es nicht diesen Ort sein! Lass mich nicht davon träumen!
    Tatsächlich hatte sie noch nie vom Waisenhaus geträumt, zumindest nicht, dass sie sich daran erinnern könnte. Sie dachte jedoch oft daran. Allerdings zwang sie ihre Gedanken jedes Mal in eine andere Richtung, sobald sie sich selbst bei diesen Erinnerungen ertappte.
    Die Dunkelheit lichtete sich langsam, und leise hob sich Schicht um Schicht eines Vorhangs. Grobe Gestalten vor ihr begannen kleinste Details preiszugeben, als sich immer mehr Vorhänge lüfteten. Ihre Sicht wurde klar, und augenblicklich wünschte sich Seyha, dass sich gnädige Finsternis wieder herabsenken würde. Sie schrie auf, ein langes, klagendes ›Nnneiiin‹, doch ihre Stimme blieb aus.
    Sie musste ohnmächtig geworden sein. Zu viel Stress. Das neue Haus, der Besuch der Pastorin, das Davidson-Mädchen, die Erleichterung, das Projekt fertiggestellt zu haben. Bill versuchte sicherlich gerade, sie wieder zu sich zu bringen. Jeden Moment würde sie ihn wieder sehen.
    Da sie nicht wusste, was sie bis dahin tun oder wohin sie gehen sollte in dieser unvermittelt einsetzenden Landschaft ihrer Erinnerung, lehnte sich Seyha auf der Bank zurück – es gab lediglich drei Reihen in dieser kleinen Kapelle – und wartete. Es hatte sich nichts verändert. Wenn überhaupt etwas anders war, dann, dass das Gebäude noch instabiler wirkte, als sie es im Gedächtnis hatte; zwei der Wände bestanden aus verrostetem Wellblech, während die anderen beiden aus ungleichmäßigen Holzplanken gezimmert waren, aus denen an manchen Stellen Stroh ragte, wo einst Löcher gestopft werden

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