Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
Vom Netzwerk:
ihrer Töchter – Seyha, die ihrer Mutter Hand festgehalten hatte – niedergerissen. Mit der Wucht des Falls war das Mädchen über den toten Körper gestürzt und landete neben der Straße.
    Damals wie jetzt erholte sich Seyha schnell, doch sie konnte den Blick nicht von den starren Augen ihrer Mutter abwenden. In der Luft verklangen die Schreie der anderen Mädchen, die fortgeschleppt wurden – alle, bis auf dieses eine kleine Kind, das an der Straßenseite lag und schon fast vergessen war; jedoch nicht von ihren Nachbarn, die sich vor die verbliebenen Soldaten stellten, um Seyha vor Blicken zu schützen, indem sie die Männer mit Wehgeschrei und entrüsteten Rufen ablenkten.
    Seyha starrte, wartete darauf, dass ihre Mutter endlich blinzeln oder lächeln, den Finger an ihre Lippen pressen oder ihre Hand über das geschwollene Loch in ihrer Stirn legen würde. Dass sie das Blut daran hindern würde, in ihr rechtes Auge zu fließen.
    Sie hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. Es war nichts mehr übriggeblieben in der Welt, gar nichts.
    Seyha dachte kurz an ihren Vater und presste dann fest ihre Augenlider zusammen. Nein, nein, nichts mehr, nichts mehr ... Als sie die Augen erneut öffnete, raste die Finsternis, die zuvor wie ein Nebel an den Rändern der Straße verharrt hatte, über ihren Kopf hinweg. Das Land stand in Flammen, überzogen mit dicken Qualmwolken. Nein, kein Qualm. Schwarze, finstere, selige, ewig währende Nacht.
    Bevor sie abermals erblinden würde, zischte die Dämonenstimme in ihr Ohr, kitzelte dabei ihre Haut. »So viel Spaß werden wir zusammen haben, du und ich.«
    Seyha schlug die Arme über dem Kopf zusammen und begann zu kreischen. Dieses Mal allerdings konnte sie ihre Stimme hören.

ERSTE NACHT DER FINSTERNIS
    Bill Watts kniete hinter der Couch, während er mit beiden Händen an seine Brust griff. Er stieß ein kurzes, überraschtes Bellen aus, erkannte dann, wo er sich befand und verfiel in eine nervöse Stille. Seyha allerdings hörte nicht auf zu schreien. Sie kauerte auf Händen und Knien, die Augen vor Schreck geweitet, dessen Ursprung nur sie wahrnehmen konnte. Während Seyha immer weiter vom Sofa wegrutschte, gab sie bisweilen Worte von sich, die er nicht verstehen konnte. Bill holte tief Luft, senkte die Arme von der Brust und kroch zu seiner Frau.
    Obwohl Gem auf die Couch krabbelte und nach hinten über die Lehne spähte, schien sie das Chaos noch immer nicht wahrzunehmen. Ihre weit aufgerissenen Augen blickten verängstigt im Raum umher; scheinbar suchte sie etwas, dass offenbar nicht länger da war.
    »Sey! Sey, ich bin’s!« Bill fasste nach der Schulter seiner Frau und versuchte, sie festzuhalten. Seyha wand sich unter seinem Griff und drehte sich weg. Er schnappt erneut nach ihr, doch verfehlte sie ein weiteres Mal. Gem und Joyce richteten ihre Konzentration schlussendlich auf die Szene, die sich hinter der Couch abspielte, und lenkte sie für den Moment von ihrer eigenen Verwirrung ab. Bill gab es auf, seine Frau erwischen zu wollen, wisperte ihr jedoch weiterhin zu, um Seyha mit seinem Tonfall zu beruhigen.
    Seyha stoppte ihren Rückzug auf halbem Weg zur Vordertür. Sie hatte mittlerweile aufgehört zu schreien, doch Tränen strömten ihre Wangen hinab. Sie blinzelte, versuchte sich auf die Stimme ihres Ehemannes zu konzentrieren. »Bill, ich ...«
    »Es ist alles gut.« Als er aber dichter an sie herantrat, kroch sie die gleiche Wegstrecke in die entgegengesetzte Richtung.
    »Bitte, geh weg. Lass mich zufrieden.«
    Er sah sich im Zimmer um, so als ob er gerade erst begriff, wo er sich befand. Gem beobachtete sie noch immer über den Rücken der Couch hinweg, ihre Miene ein Ausdruck des Schreckens, nicht wegen Seyhas Verhalten, sondern wegen all dem, was Gem selbst widerfahren war. Ihr und allen von ihnen. Er setzte an, um eine Frage zu stellen, zögerte und sah hinüber zu Joyce. Die Pastorin stand regungslos neben dem Esstisch und starrte leeren Blicks zurück zu ihm.
    Niemand sagte ein Wort. Kein Geräusch war im ganzen Haus zu hören, einmal abgesehen von Seyhas gelegentlichem Keuchen, als sie versuchte, sich selbst zu beruhigen.
    »Was ... ist da gerade passiert?«, fragte Gem endlich. Sie blinzelte sehr häufig, wie um einen Fremdkörper aus ihrem Auge herauszulösen.
    Joyce ignorierte die Frage. »Seyha, bist du in Ordnung?«, flüsterte sie. Für Bill sah Joyce wie eine verlorene Seele aus, wie sie so neben dem Tisch stand, mit bleichem Gesicht und Augen,

Weitere Kostenlose Bücher