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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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verfluchen und aus dem Zimmer flüchten. Aber wohin sollte sie gehen? Sie waren hier gefangen, Seyha mehr als die anderen, zumal sie von Bills Arm umklammert und von seiner Frage in die Ecke gedrängt wurde. Da sie nicht wusste, was sie erwidern sollte, schwieg sie.
    »Sey?«
    Ohne den Blick vom Teppich zu lösen, überwand sie sich zu murmeln: »Ich will nicht darüber reden.«
    Aus dem Augenwinkel sah sie, dass sich Reverend Lindu, die mittlerweile mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden neben Gems Sessel saß, ihr zudrehte. »Seyha, wir alle sind erschreckt worden. Niemand von uns wusste, was ...«
    »Ich sagte, ich will nicht darüber reden!« Sie schüttelte Bills Arm ab und stieß ihn weg. Verbissen vermied sie es, den anderen in die Augen zu blicken. Sie stand auf, fühlte sich inmitten der Gruppe plötzlich verwundbar. Seyha stapfte an Gem und Joyce vorbei zum Fenster, wo sie stehen blieb und das schwarze Glas anstarrte. Das Fenster wies hinaus ins Nichts. Rein gar nichts. Dort draußen, in der Nachbarschaft, in der Welt, gab es nichts. Bill und Joyce – vielleicht sogar Gem – mochten denken, es gäbe nach dem Tod einen Himmel mit Licht und Freude. Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Alles, was es gab, war das Hier und Jetzt. Leid geschah einfach, und man durfte nicht zurückblicken. Tat man es doch, geriet man in die Fänge dessen, was den Schmerz verursacht hatte, immer und immer wieder ...
    Als Bill sie an der Schulter berührte, kreischte Seyha und wirbelte herum. Sie hatte nicht beabsichtigt, die Hand gegen ihn zu erheben, dennoch hatte sie es getan, ließ sie auf ihn zuschnellen. Ihre offene Rechte klatschte heftig in Bills wunderschönes, trauriges Gesicht. Das Geräusch hallte wie ein Echo durch das Zimmer.
    Er taumelte und kniff das linke Auge zu. Das andere starrte sie ungläubig an. Seyhas Handfläche schmerzte. Sie drückte sie an sich und begriff, dass der Schmerz nichts im Vergleich zu dem wachsenden roten Fleck auf der Wange ihres Mannes war. Er stand reglos da, hob keine Hand ans Gesicht. Seyha hatte nicht beabsichtigt, ihn zu verletzen, weder jetzt noch überhaupt. Er war ihr nur zu rasch zu nah gekommen, das war alles.
    Mittlerweile presste sie krampfhaft beide Hände an die Brust, scheute sich davor, ihn zu berühren. »Es ... es tut mir leid, Bill. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, ich ...«, flüsterten sie.
    Hundert verschiedene Ausdrücke huschten über sein Gesicht, ehe er vorsichtig die Arme nach ihr ausstreckte, sie um ihren Rücken schlang und ihr die Hände auf die Schultern legte. Sie zitterte, allerdings nicht vor Furcht oder Wut, sondern weil eine gewaltige Blase der Traurigkeit aus ihr hervordrang. Außer einem erstickten Schluchzen gab sie keinen Laut von sich. So weinte sie immer – stumm und zitternd, aber kontrolliert. Seyha drückte die Nase gegen den freiliegenden Teil von Bills Brust unter den offenen beiden oberen Knöpfen seines Hemds, atmete den Duft seines Deos ein, so vertraut, so sicher. Sie wollte ihm jenen roten Fleck aus dem Gesicht wischen, alles ungeschehen machen, von vorne beginnen. Sonnenschein würde durch die Fenster strömen, und alle wären glücklich. Doch stattdessen dachte sie – wusste sie –, dass nichts je wieder gut zwischen ihnen werden würde.
    »Pst, alles in Ordnung.«
    Bill wünschte, er könne seine Frau noch enger an sich drücken und sie niemals loslassen. Er würde sie an dieser Stelle die ganze Nacht lang festhalten, wenn es notwendig wäre. Hinter ihm wurde undeutlich geflüstert. Von der Unterhaltung erreichten ihn nur Wortfetzen. Seine Wange brannte. Seyha hatte heftig zugeschlagen. Mit dem linken Auge sah er nur verschwommen. In dem Versuch, das Problem zu beheben, blinzelte er, was jedoch nichts änderte.
    Seyha sagte etwas, aber ihre Worte verloren sich an seiner Brust. Aus dem verzweifelten Tonfall erahnte er, was sie meinte. Er sprach in ihr Haar: »Du musst nicht reden. Später vielleicht, aber nur, wenn du willst. Niemand von uns weiß, was hier vor sich geht. Reden könnte zwar helfen, aber die Entscheidung liegt allein bei dir. Alles klar? Sie liegt ganz allein bei dir.«
    Sie nickte, wobei ihre Nase über ihn strich. Ihr stummes Schluchzen ließ nach. Trotzdem hielt Bill sie weiter fest.
    Als sie offenbar zu weinen aufgehört hatte, fragte er: »Möchtest du dich hinlegen?«
    Sie nickte.
    »Komm. Sofern die Laken nicht wie alles andere erstarrt sind, kannst du dich ins Bett legen.« Er versuchte,

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