Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
Bill zögernd: »Ich denke, davon hätten wir etwas gehört.«
»Vielleicht. Es sei denn, die betroffenen Leute sabbern jetzt in Plastikbecher oder haben beschlossen, so zu tun, als sei es nie geschehen. Ich meine, wer würde ihnen schon glauben? Die einzigen Zeitungen, die darüber berichten würden, haben sonst Bigfoot und UFOs in den Leitartikeln.«
»Ich denke, wir verlieren den Faden der Diskussion.«
»Warum?« Gem wechselte auf den Kissen in kniende Haltung. Ohne besondere Betroffenheit fragte sich Seyha, wie viel Gras und Asphalt die dreckigen Socken des Mädchens gerade in den Sessel rieben. »Ich meine, vielleicht ist das hier bloß ein aufwendiger Film, der zum Nachdenken anregen soll. Wir brauchen bloß rumzuhocken und über unsere ›Probleme‹ zu reden.« Sichtlich erregt deutete sie mit den Fingern Anführungszeichen an und wippte dabei auf und ab. »Aber so ist es nicht, oder? Was ich gesehen habe, war kein freundlicher Engel, der sich seine Flügel verdienen will, indem er mir zeigt, wie das Leben ohne mich wäre. Ich habe ein Monster gesehen. Das Ding kroch über meinen Vater und hat mir in den Bauch gestochen!« Sie zog ihr T-Shirt hoch und entblößte die Mitte. Mit der freien Hand drückte sie sich vier Finger auf die Haut. »Es hat mir diese grässlichen, langen Klauen in den Bauch gestoßen und mich aus dem Fenster geworfen!« Gem ließ das T-Shirt wieder sinken. »Vielleicht ist das eine Art bizarres Tauziehen. Gut und Böse kämpfen um unsere Seelen. Das klingt mir eher nach der Wahrheit.« Mittlerweile stand sie auf dem Sessel und wurde zunehmend lauter. »Ich will keine Sekunde länger hier herumhängen, als ich muss, weil ich dieses echt üble Gefühl habe, dass dieses ... Ding noch immer hier lauert, wie ein böser Clown, der uns alle in die Kanalisation hinabzerren will!«
Gem sank auf die Kissen zurück. Sie stieß einen Laut aus, der sich halb wie ein Fluch, halb wie ein Zischen anhörte, und trat mit dem Fuß gegen die Armlehne.
Obwohl sie nicht alles verstand, wovon das Mädchen geschwafelt hatte, stimmte Seyha der Göre in einem Punkt zu. Was, wenn die Stimme oder die Finsternis zurückkehren?
Sie musste etwas sagen, bevor die beiden anderen das Thema wechseln konnten. »So sehr es mir widerstrebt, das zu sagen: Gem hat Recht. Mir ist das alles völlig schleierhaft, aber ich will auf keinen Fall noch so eine Ohnmacht erleben. Ich mag nicht das Monster gesehen haben, das ihr begegnet ist, aber ich habe es gehört. Ich will diese Stimme nie wieder hören.«
Eine entsetzliche Gewissheit schwappte über ihr zusammen – sie hatte dem Gelächter soeben das Stichwort geliefert, um zurückzukommen. Aber nichts geschah. Sie blieben allein und ohne Antworten.
»Also«, setzte Joyce an und wischte mit den Händen ihren glatten Rock entlang. »Ich weiß nicht, was wir noch tun können, um hier rauszugelangen, aber wir sollten irgendetwas versuchen. Die Türknäufe und -schlösser können wir vergessen. Wir wissen, dass wir eingesperrt sind.«
Bill räusperte sich. »Es gefällt mir zwar nicht – diese Fenster sind ziemlich teuer –, aber wir könnten versuchen, das Glas zu zerbrechen. Diesmal mit etwas anderem als meinem Arm. Vielleicht mit einem der Stühle aus dem Esszimmer.« Beiläufig deutete er mit der Hand, die auf der Rückenlehne der Couch ruhte, in die Richtung.
Alle schauten hin. Die neuen, klaren Fenster zeigten durchgängiges Schwarz, und das Glas reflektierte nichts. Wie Bill zuvor gemeint hatte, wirkten sie wie bemalt. Nun beschlich Seyha das verstörende Gefühl, dass die Fenster nicht geschwärzt, sondern lediglich nicht vorhanden waren. Dass sich dort nichts befand. Und dahinter auch nicht. Der Gedanke verursachte ihr einen solchen Schwindelanfall, dass sie den Blick abwenden musste.
Bill stand auf und schritt zielstrebig zum Esszimmertisch.
Seyha kratzte eine juckende Stelle hinter einem Ohr und stellte leicht verärgert fest, dass Gem Davidson dasselbe tat. Das Mädchen kniete sich höher auf den Sitz und beobachtete, wie Bill mit einem der Stühle zum nächsten Fenster ging. Gem wirkte verängstigt.
»Äh ...«, setzte sie an. »Wissen Sie, ich habe nachgedacht. Vielleicht ist das keine so gute Idee. Was, wenn sie das Fenster einschlagen, und wir uns im Weltraum befinden? Ich habe so etwas einmal im Fernsehen gesehen; eine ganze Ortschaft wurde auf einen absonderlichen Planeten entführt und dort in einen Zoo gesteckt.« Ihre Stimme schwoll an, als Bill mit
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