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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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näher hin und setzte sich auf die Armlehne der Couch. Sie atmete Gerüche aus längst vergangener Zeit ein. Keiner ließ sich einer bestimmten Erinnerung zuordnen – es war eine Mischung aus verschiedenen Parfums, Spielzeugen und Lufterfrischern. Es roch nach Vergangenheit. Gem könnte die Hand ausstrecken, um ihre Mutter zu berühren. Noch zwei Schritte, und sie könnte sich selbst berühren. Jener letzte Gedanke verursachte ihr Gänsehaut. Wahrscheinlich würde sie damit gegen eine Zeitreiseregel verstoßen. Vielleicht würde ihre Hand wie die eines Geistes durch das Mädchen hindurchgleiten.
    Sie rührte sich nicht von der Stelle. Gem musste zugeben, dass sie in diesem Alter ziemlich süß gewesen war. Auf allen Fotos, die sie von sich gesehen hatte – und bei denen ihre Mutter mal nicht oben die Köpfe abgeschnitten hatte –, trug sie Zöpfe. Hier nicht. Das blonde Haar war offen und zerzaust. Kurze Stummelfinger, das Gesicht und die Arme drall wie bei allen Kindern dieses Alters. Gem erinnerte sich fast an diesen Moment oder zumindest solche Gelegenheiten. Sie war damals noch nicht alt genug für die Schule. Ihre Mutter hatte soeben eine neue Kristalllieferung von einem Versandhaus erhalten. Gem sah sich im Zimmer um und erblickte auf dem Boden einen offenen Karton. Papierstreifen quollen wie Spaghetti daraus hervor. Die Geschäfte, bei denen sie ihren Kram kaufte, verwendeten nie Styropor. Zu umweltschädigend.
    »Was ist das für einer?« Die kleine Gem hielt einen weiteren Stein hoch, dessen glatte, schwarze Oberfläche im Licht schimmerte. Onyx , dachte Gem. Ihre Mutter las auf einem Stück Papier nach, vermutlich der Inhaltsliste.
    »Ich glaube, das ist Onyx«, antwortete sie und deutete auf einen Abschnitt des Behälters, in dem sich ähnliche Steine befanden.
    Das Mädchen begann sofort zu weinen. »Ich will ihn selbst finden!«
    Ihre Mutter schaute auf und lächelte. »Tut mir leid. Vielleicht ist das nicht der richtige. Mach du das lieber.«
    Beschwichtigt suchte die kleine Gem nach dem richtigen Fach. Letztlich ließ sie den Stein an jenen Platz fallen, auf den ihre Mutter gezeigt hatte.
    Warum bin ich hier? , fragte sich Gem. Argwöhnisch sah sie sich im Zimmer um. Es fühlte sich warm an, und das Licht wirkte verändert, sanft und heimelig. Wie an jenen Tagen, an denen Gem von der Schule zu Hause blieb, weil sie krank war. An Schultagen fühlte sich das Haus immer anders an. Wie eine geheime Welt, von der die meisten Kinder nichts wussten, während sie unter dem harschen Neonschein der Klassenzimmer arbeiteten. Ein geheimer, ruhiger Ort. Wie eine Kirche.
    Ihre Mutter erhob sich linkisch von dem Stuhl und drückte sich eine Hand ins Kreuz. Sie war schwanger. Wow , dachte Gem. Das da drin ist Eliot!
    »Nicht!«, rief die kleine Gem aus. »Weitermachen!«
    »Wir machen ja weiter«, versprach ihre Mutter. »Ich muss nur mal aufs Klo.«
    »Na gut«, gab Gem zurück und fuhr mit einem Finger durch den schwindenden Haufen der Steine. »Ich suche inzwischen nach einem Platz für ... diesen hier.« Sie wählte einen weiteren Amethyst aus.
    Ihre Mutter schien widersprechen zu wollen – sie hasste es, wenn jemand ihren Kram durchwühlte, wenn sie nicht dabei war. Aber sie musste entschieden haben, dass Gem keinen Schaden anrichten würde, denn sie huschte in die Toilette neben der Treppe.
    Gem blieb allein mit sich selbst zurück.
    He, kleine Gem , versuchte sie zu sagen, besaß jedoch auch diesmal keine Stimme. Hast du Spaß?
    »Ja«, lautete die Antwort. Sämtliche Härchen an Gems Körper richteten sich auf.
    Du kannst mich hören?
    »Ja.« Das kleine Mädchen schaute nicht von seiner Arbeit auf.
    Das war verrückt. Erneut sorgte sich Gem darüber, die Vergangenheit durcheinander zu bringen. Hatte sie als Kind je einen imaginären Freund gehabt? Sie konnte sich nicht erinnern.
    Nun, sie hatte es bereits vermasselt; es war zu spät, um noch damit aufzuhören. Kannst du mich auch sehen? , fragte sie.
    Vorsichtig schaute das Mädchen auf. Wie ein Kind, das ängstlich über den Rand einer Bettdecke lugt. Die kleine Gem erblickte die große Gem und wandte sich rasch wieder den Steinen zu.
    »Ja.«
    Weißt du, wer ich bin?
    Das Mädchen fand das Fach mit dem Amethyst und ließ den Stein hineinfallen. Die winzigen Finger zitterten ein wenig, weshalb er an der falschen Stelle zwischen drei Mondsteinen landete. Das würde ihrer Mutter nicht gefallen. Die kleine Gem bemerkte es nicht. Ohne aufzuschauen,

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