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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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mochte, damals als sie so inbrünstig geglaubt hatte, dass er hier lebte? Vielleicht fühlte er sich einsam in der verwaisten Kirche. So wie sie manchmal in ihrem eigenen Haus.
    Gem betrat das Sanktuarium, fuhr mit der rechten Hand über das glatte, polierte Holz des Altars.
    Ein Schwall warmer, salziger Luft strich von hinten über sie hinweg. Sie drehte sich um und keuchte. Diesmal hörte sie sich. Erneut eine Veränderung. Der Altar unter ihren Fingerspitzen fühlte sich real an, doch die Kirche, zumindest alles jenseits des Sanktuariums, war verschwunden. Ein breiter Abschnitt des bläulich grauen Meeres füllte ihr Blickfeld aus. Es musste Nachmittag sein, denn die Sonne befand sich außer Sicht hinter ihr, und die Möwen begannen zu kreisen, lauerten darauf, herabzustoßen, um Krumen zu ergattern, als die Familien am Strand zusammenpackten.
    Zwei halb in den Sand gesunkene Stühle warteten zwischen ihr und dem Wasser. Gem blickte hinter sich. Die Kirchenwand war noch da und versperrte mit ihren kleineren Buntglasfenstern den Weg zurück zum Parkplatz. Vor ihr lag der Strand von Salisbury. Zumindest vermutete sie, dass es Salisbury war. Für den Strand von Hampton herrschte zu wenig Betrieb. Abermals seufzte sie, tröstete sich am Klang der eigenen Stimme und wusste, was immer geschehen würde, es würde geschehen, ob sie wollte oder nicht. Sie trat vor, weg vom Altar und auf den Sand. Ihre Socken dämpften die in den Körnern gespeicherte Hitze des Tages. Gem spielte mit dem Gedanken, sie auszuziehen, aber sie waren bereits schmutzig, warum also sollte sie sich die Mühe machen? Sie ging auf die Liegestühle zu, die mit den Rückenlehnen zu ihr standen. Einer war leer. Im anderen lungerte ein Junge. Ein dürrer Arm baumelte über die Seite und zeichnete müßig im Sand. Matt? Natürlich Matt. Ein weiterer Mitspieler in ihren Albträumen.
    Gem vermeinte, sich an diesen Tag zu erinnern. Die Stühle hatten genauso gestanden, und Matt hatte abwesend im Sand gezeichnet, das Gesicht in einem Buch vergraben.
    Unmittelbar hinter den Stühlen brandete rauschend eine Welle auf einen Streifen aus dichtem, grauem Sand und streckte sich nach ihnen. Flut. Beinah Zeit zum Aufbrechen.
    Als sie vor die Stühle hintrat und sich vor Matt stellte, schaute er von dem Taschenbuch auf, das er in der linken Hand hielt, und steckte den Daumen als Lesezeichen dazwischen. Natürlich ein weiterer Horrorroman. Was sonst?
    »Hallo«, sagte sie. Obwohl ihre Stimme zurückgekehrt war, klang sie gedämpft, wie es hier immer war, wo sie gegen das laute Meeresbranden ankämpfen musste.
    Matt lächelte, wenngleich es ihm nicht gelang, sein übliches Aufblitzen von Verärgerung darüber zu verbergen, bei einer spannenden Lektüre gestört zu werden. Wahrscheinlich würde gleich jemandem der Kopf abgehackt oder so ähnlich. »Auch hallo«, gab er zurück. »Hast du es rechtzeitig geschafft?«
    »Wohin?« Sie überlegte, ob sie sich auf den anderen Liegestuhl setzen sollte, fand jedoch, da sie nicht richtig gekleidet war, zumal sie nach wie vor Jeans und ein T-Shirt trug. Schlimm genug, dass sie den Sand nie aus den Socken bekommen würde.
    Sein sonst so glattes Gesicht kräuselte sich ein wenig, dann sagte er: »Zur Toilette? Der Weg dorthin ist zwar weit, aber auch nicht so weit.« Das Lächeln kehrte zurück. Sie mochte sein Lächeln und fragte sich, ob sie sich in der echten Welt endgültig getrennt oder nur eine Auszeit voneinander genommen hatten.
    »Toilette«, sagte sie abwesend und schaute in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Wie eine Freilichtbühne versperrten das Sanktuarium, der Altar und die hintere Wand der Kirche die Sicht auf den Weg über die Dünen zu den öffentlichen Toiletten. »Von dort komme ich also?«
    Matt lächelte und blickte auf sein Buch hinab. »So sieht die Szene aus, Gem.« Als er keine Antwort erhielt, schaute er auf. Diesmal verschleierte er seine Verärgerung nicht. »Setzt du dich wieder? Du siehst aus, als wolltest du gehen.«
    Gem hob beide Arme und ließ sie wieder sinken. »Fragst du dich nicht, weshalb ich diese Kleider trage?«
    Er bedachte sie mit einem langen, abschätzigen Blick, wodurch er sie auf grausige Weise an Mr. Lindu erinnerte. Hör auf damit! , schalt sie sich.
    »Ich dachte, du magst diesen Badeanzug.«
    Gem blickte an sich hinab. Ihre Aufmachung hatte sich durch seine Worte nicht auf magische Weise verändert. »Matt, ich trage Jeans und ein T-Shirt.« Sie hob einen Fuß. »Und

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