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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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als ein Flüstern zustande. »Wenn du ein Engel bist, würde diese Gesinnung deine Zustimmung finden. Wenn du etwas anderes bist ...«
    »Ein Dämon vielleicht?«
    Sie kämpfte gegen einen Anflug von Furcht an, den ihr das Wort einjagte. »Vielleicht«, erwiderte sie. »Aber wenn dem so wäre, würdest du wollen, dass ich alles andere tue, als den Bedürftigen zu helfen.« Ihr Mund fühlte sich trocken an. Sie hasste sich dafür.
    »Den Bedürftigen «, höhnte er und starrte zur Decke empor. Mit einem übertriebenen Seufzen meinte er: »Es wird immer arme Menschen geben. Hat das nicht mal der Obermacker gesagt? Wir beide wissen doch, dass der einzige wahre Grund dafür der ist, dass du so weit wie möglich von dem Haus nebenan weg möchtest. Habe ich nicht Recht?« Er lächelte ohne jeden Humor.
    »Was willst du von mir?«
    Ray grinste breiter, trat vor und fuhr ihr mit zwei Fingern vorne über die Bluse. »Oh, ich weiß nicht.« Ein weiterer langsamer Blick über ihren Körper. Joyce spannte jeden Muskel an, um nicht darauf zu reagieren, um ihm nicht die Befriedigung zu geben. »Wie wär’s mit ein wenig Spaß, um der alten Zeiten willen?«
    Unwillkürlich lehnte sich Joyce heftig gegen die Küchentheke zurück. Bevor sie es verhindern konnte, stieß sie hervor: »Rühr mich nicht an.« Ihre Stimme ertönte als erbärmliches, mattes Krächzen.
    Ray lachte, hob beide Arme zu einer höhnischen Geste der Fügsamkeit und stützte sich anschließend auf den Tisch. Dabei bemerkte Joyce den roten, pflaumengroßen Fleck mitten auf seiner nackten Brust. Er sah aus wie ein Muttermal, doch sie wusste, dass seine Haut dort keinen solchen Makel aufwies. Joyce konzentrierte sich darauf, versuchte, den Fleck durch bloße Willenskraft größer werden zu lassen, schmerzhafter – doch Ray unterbrach den Gedanken, indem er sagte: »Ah, die Heilige Mutter hat gesprochen. So keusch, so rein.« Er setzte sich aufrecht hin und verschränkte die Arme vor der Brust, als würde er den Fleck unbewusst verbergen. »Also, falls es dir ein Trost ist, Joyce, meine kleinen Ausflüge – oder eigentlich Rays Ausflüge, zumindest dieses Detail haben wir größtenteils geklärt – haben nicht allzu lange gedauert. Die hinreißende – wenngleich schrullige – Mrs. Davidson hatte bald zu viel mit dem kleinen Eliot zu tun, um sich mit ihrem verkommenen Nachbarn auszuleben.« Langsam fuhr er sich mit einer Hand über die Bartstoppel an seinem Kinn. Dann starrte er nachdenklich zur Decke. »Weißt du, ich habe mich immer gefragt, wieso du nicht angeboten hast, den Jungen zu taufen. Ihm Wasser über den Kopf zu gießen und ihn zu segnen, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ...«
    Es war zu viel ... das alles war zu viel.
    Joyce schrie auf und stürzte mit den Fäusten voraus los. Sie prallten gegen den Kaffeetisch im Wohnzimmer der Watts’, verursachten dabei kaum ein Geräusch. Verdutzt blickte sie auf ihre Arme hinab und spürte mehr, als sie es sah, dass sich das Haus erneut verändert hatte. Sie hoffte, nichts zerbrochen zu haben. Ein paar Schritte entfernt brach Seyha Watts zusammen.
    Kurz davor streckte sich Gem letztlich auf dem Boden, rappelte sich auf und stand in der verwaisten Kirche. Schon wieder , flüsterte sie ohne Stimme. Warum war sie erneut hier, und was um alles in der Welt hatte diese letzte, unsinnige Höllenhausszene aus ihrer Kindheit zu bedeuten? Nichts von dem, was sie bisher durchgemacht hatte, schien in irgendeiner Beziehung zueinander zu stehen. Gollum auf dem Stuhl ihres Vaters, ihre Mutter und deren idiotische Steine, Mr. Lindu ... Und nun war sie wieder hier. Beim Gedanken an Ray Lindu krampfte sich ihr Magen zusammen. Die Tür zum Wohnbereich war wie beim letzten Mal geschlossen. Allerdings fühlte sie sich allein. Hinter der Tür drang kein Weinen hervor.
    Leise blies sie den Atem aus und betrachtete die verteilten Farbsplitter in jedem Fenster. Jedes Stück Glas besaß seine eigene Kunst, seine eigene Schönheit. Zusammen bildeten sie impressionistische Darstellungen verschiedener Heiliger, von denen sie keinen zu benennen vermochte, aber Gem hatte es in den Momenten, die sie wirklich hier gewesen war, ohnehin vorgezogen, die einzelnen Scherben zu betrachten, deren einzigartige Farben. Kein Rotton glich dem anderen vollends, das Licht brach sich stets unterschiedlich darin, ein wenig dunkler hier, ein wenig heller dort.
    Weilte Gott noch hier? Jetzt oder wann immer dieser Moment gewesen sein

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