Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
Empfindung war beängstigend; Gem fürchtete, dass sie selbst die Kontrolle zu verlieren drohte. Gleichzeitig fühlte es sich aber auch gut an.
»Ich persönlich glaube nicht, dass wir irgendetwas tun können. Ich denke, wir sind in der Hölle, und es ist für uns alle zu spät. Was halten sie davon ?«
Darauf erwiderte Seyha nichts, jedenfalls nicht sofort. Gem stellte fest, dass sie außer Atem war. Sie war so angespannt, so bereit für die unausweichlichen Handgreiflichkeiten. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, ihre Züge verzogen sich zu einer Grimasse, die Gem ganz und gar nicht gefiel. Schlagartig schmolz ihr Gefühl von Macht in Furcht vor dieser verrückten Frau, vor der beängstigenden neuen Maske, die sich über Mrs. Watts senkte.
»Du weißt nicht, was die Hölle ist, du kleines Miststück. Ich bin dort gewesen!« Nun trat Seyha vor, bis kein Abstand mehr zwischen ihnen verblieb. Ihre Worte fühlten sich physisch in Gems Gesicht an. Gem ballte die Hände zu Fäusten, weigerte sich zurückzuweichen. Was sie ohnehin nicht gekonnt hätte. Hinter ihr befand sich die geschlossene Tür. »Ich war dort, und ich könnte dir alles darüber erzählen, aber das werde ich nicht tun. Und weißt du, warum?«, fuhr Seyha fort.
Zwei wirklich gute Erwiderungen kamen Gem in den Sinn, doch sie verstaute sie rasch unter Denk nicht mal daran . Stattdessen fragte sie nur: »Warum?«
Mrs. Watts gelang es, die letzten Zentimeter zwischen ihnen zu überbrücken und ihren Körper gegen jenen Gems zu pressen. »Weil alles, was du kennst, dicke Polster mit Barbie- Aufdrucken, weiche Decken und eine nette, sichere Welt sind.« Ihr Gesicht veränderte sich erneut. Einen Lidschlag lang, kurz, aber deutlich, so lange es währte, verzog es sich zu einem Abbild des Dämons, der in Gems Albtraum durch das Fenster gekrochen war. Dann erschien sie wieder menschlich. Einigermaßen. »Einige von uns wurden in der Hölle großgezogen , Miss Davidson. Also lass mich einfach in Ruhe und geh zurück zu deiner geistlichen Freundin.«
Damit wandte sich Seyha ab, kehrte zur Toilette zurück. Gem war sicher, würde sie zu Boden blicken, würden die Füße der Frau einen Zentimeter darüber schweben. Und vielleicht Klauen aufweisen.
Sie wollte gehen. Unbedingt. Aber sie war hier hereingekommen und würde den Raum nicht eher verlassen, bis diese Frau sie begleitete oder ihr mit der Toilettensaugglocke den Rotz aus dem Leib prügelte. Im Augenblick sah es eher nach Letzterem aus, dennoch blieb Gem standhaft. Wohin sollte sie sonst auch gehen?
Seyha stand nach wie vor mit dem Rücken zu ihr. Ihre Schultern waren herabgesackt.
Gem wusste, dass ihr die nächsten Worte höchstwahrscheinlich endgültig zur Bekanntschaft mit der Saugglocke verhelfen würden. »Das also haben Sie gesehen? Kambo...«
Seyha wirbelte herum und brüllte: »Verschwinde aus meinem Badezimmer! Aus meinem Haus! Aus meinem Leben!« Ihre Schreie hallten von den Wänden wider. Seyha sah sich nach etwas um, womit sie Gem töten konnte, dann hob sie den Porzellandeckel der Toilette an und schlug ihn heftig zu. Er prallte auf die Schüssel auf und zerbarst in Dutzende scharfkantige Scherben. Einige landeten auf dem Boden, andere in der Toilette. Jene auf dem Boden zerbrachen in noch kleinere Stücke. Ein großes Teil hing noch an einer verbogenen Plastikangel. Seyha kreischte und trat dagegen, sodass es über die Toilettenschüssel in die Badewanne flog.
Gem öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort hervor, konnte die Augen nicht von der Saugglocke lösen, die umkippte und vor Seyhas Füße rollte. Die bemerkte sie jedoch nicht. Also gut , beschloss Gem. Zeit zu verschwinden.
Hinter ihr öffnete sich die Tür und stieß sie einige Schritte in den Raum. Bill drängte sich an ihr vorbei und brüllte: »Sey, was ist hier los?«
Hinter ihm folgte Joyce. Gem musste den Hintern gegen das Spülbecken pressen, um Bill vorbeizulassen. Als sie zu Joyce in den Flur ging, ertönte hinter ihr ein weiteres lautes Krachen.
Was jetzt? Gem drehte sich erst um, als sie sich hinter Joyce befand. Sie rechnete damit zu sehen, wie Mrs. Watts noch etwas zerbrach. Stattdessen hatte sich diese lediglich in die Umarmung ihres Mannes fallen gelassen. Beide starrten auf die Fliesenwand über der Badewanne. Ein langer, tiefer Sprung kroch vom Rand der Wanne zum Sims des kleinen, schwarzen Fensters darüber.
Gem lauschte und war froh, kein Zischen entweichender Luft zu hören. Bevor sie überlegen
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