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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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konnte, wie Mrs. Watts das gelungen war, tauchte ein weiterer Sprung auf – hörbar und sichtbar. Er begann, wo der Erste geendet hatte, erstreckte sich diagonal nach unten und hielt erst inne, als er den Rand der Badewanne ein Stück vom ersten Sprung entfernt erreichte. An der gegenüberliegenden Wand prangte somit ein Dreieck mit unebenmäßigen Seiten.
    Der Frisierspiegel neben ihnen zerbarst. Scherben regneten ins Spülbecken, prallten davon ab und ergossen sich zu Boden. Gem wich zurück. Joyce tat es ihr gleich und schlang einen Arm um ihre Schulter.
    Der nunmehr, abgesehen von einigen scharfkantigen Scherben am Rand, glaslose Rahmen verzog sich, als würde er von unsichtbaren Händen zerdrückt wie eine leere Getränkedose.
    Ein weiterer Sprung erschien an der Badewanne. Und noch einer. Seyha kreischte. Vielleicht war es auch Bill, oder vielleicht stammte der Laut von beiden. Das Paar wich vor etwas zurück, das wie ein an der Wand entstehendes Gesicht aussah – ein zorniges, kantiges Gesicht. Fliesenteile bröckelten ab, wodurch das Bild umso grotesker wirkte. Joyce zog Gem so weit in den Flur und in Richtung des Wohnzimmers, dass sie nicht mehr ins Bad sehen konnte. Im Badezimmer krachte abermals etwas, und noch einmal. Das Letzte, was Gem von dem Raum sah, war ein schwarzes Loch an der Wand, wo der Frisierspiegel abgefallen war.
    Sobald sich die Watts ebenfalls im Flur befanden, schlug die Badezimmertür zu. Seyha schrie. Gem schrie. Etwas polterte von innen gegen die Tür, immer wieder. Zugleich ertönten weitere Geräusche von berstendem Glas, springendem Porzellan und splitterndem Holz.
    In der Badezimmertür erschien ein langer Riss, der sich über die gesamte Länge erstreckte.
    Gem stellte sich vor, dass all die Wut ihres Streits mit Mrs. Watts zum Leben erwacht war, gegen die Wände schlug und jedes Mal umso stärker davon abprallte.
    Dann kehrte Stille im Flur ein. Kein Krachen mehr, kein Poltern. Die Watts standen reglos da und starrten wie gebannt auf die gesprungene Tür.
    Niemand rührte sich.
    Unmittelbar hinter ihnen fiel die Tür zum Gästezimmer zu. Das Paar wirbelte herum und stieß einen Schrei aus. Mittlerweile schrien alle , nahmen es an Lautstärke mit dem Hämmern gigantischer Fäuste auf, das aus dem Gästezimmer drang. Zum Leben erwachte Monster. Fütterungszeit , dachte Gem und wünschte sogleich, es nicht getan zu haben.
    »Ins Wohnzimmer, sofort!«, rief Bill. Gem ergriff Joyces Hand und wollte losrennen, aber die Geistliche rührte sich nicht. Sie starrte auf die geschlossene Tür des kleinen Gästezimmers und blinzelte in Einklang mit jedem zornigen Schlag.
    Gem zerrte an ihr. »Joyce«, flüsterte sie eindringlich, »bitte!«
    Joyce blinzelte schneller, drehte den Kopf und musste etwas in Gems Gesicht erblicken, denn sie setzte sich in Bewegung und rannte den Flur entlang. Sie war blass.
    O Gott , dachte Gem. Lass sie sich zusammenreißen, nur noch ein bisschen länger, bitte ... Als das Wohnzimmer zu ihrer Linken auftauchte, füllte sich die Küche vor ihnen mit Rauch. Gem hielt inne. Jemand prallte von hinten gegen sie, was sie kaum bemerkte. Die Küche hatte sich fast vollständig mit Rauch gefüllt.
    Nein , begriff Gem. Das ist kein Rauch. Das ist Finsternis . Die Finsternis, die kam, um sie zu holen. Mittlerweile hatte sich Joyce wieder gefasst. Sie zog Gem durch den Essbereich ins Wohnzimmer und blieb erst stehen, als sich die Couch und die Sessel zwischen ihnen und der großen Öffnung zur Küche befanden. Bill und Seyha folgten dicht hinter ihnen. Die vier standen zusammen hinter dem letzten Sessel und starrten zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie warteten darauf, dass sich die Flut der Schwärze ins Zimmer ergoss und sie verschlang.
    Doch es geschah nicht. Die Küche war verschwunden. Der Durchgang glich einem der schwarzen Fenster. Vorläufig beschränkte sich die Finsternis auf diesen einen Raum. Der Flur war noch offen und begehbar.
    Aber immer noch warteten alle. Nichts geschah. Keine Geräusche von Wut, kein Hämmern riesiger Fäuste gegen Türen.
    Joyce murmelte: »Lieber Gott im Himmel, was war das? Was war das?«
    »Ich glaube, das Haus ist wütend auf uns«, entfuhr es Gem.
    Wie lange war es her? Bill schätzte, eine halbe Stunde, doch die Zeit war zu einem tückischen Konzept geworden. Seine Armbanduhr war nutzlos, zumal sie in jenem Moment stehen geblieben war, in dem alles begonnen hatte. Der Vorfall im Badezimmer konnte sich vor zehn

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