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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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nicht darauf, wie laut ihre Stimme in dem kleinen Raum widerhallte. »Wie kannst du es wagen, hier reinzukommen? Verschwinde auf der Stelle!«
    Gem freute sich darüber, dass es ihr gelang, einen halben Schritt vorzutreten und den Abstand zwischen ihr und der Frau zu verringern. Dieses Spiel kann man auch zu zweit spielen, Mrs. Watts. Im Geiste versetzte sie sich einen Tritt dafür, dass sie diesem Weib zuvor zu Hilfe geeilt war. »Nein.« Gem senkte die Arme, weil sie nicht defensiv wirken wollte. »Ich habe gerade die netteste Frau, die ich je kennen gelernt habe, weinend wie ein Baby zurückgelassen, und Sie verstecken sich hier auf dem Klo.«
    Auch Seyha trat einen weiteren Schritt vor. »Wie kannst du es wagen ...«
    »Wie können Sie es wagen?«, fiel Gem ihr mit selber Lautstärke ins Wort und näherte sich ihr weiter. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie voneinander, ein einziger Schritt. »Haben Sie überhaupt die geringste Ahnung, was wir durchmachen? O arme, bemitleidenswerte Seyha.« Gem wusste, dass es einer Herausforderung gleichkam, ihren Vornamen zu verwenden, doch im Augenblick kümmerte es sie nicht. »Haben Sie schlechte Träume? Wachen Sie auf, Lady. Die haben wir alle . Wir werden angegriffen. Sie sind nichts Besonderes.«
    Seyhas Gesicht lief so rot an, dass Gem die davon abstrahlende Hitze zu spüren vermeinte. Die Farbe brachte winzige Makel auf ihrer Haut zum Vorschein, kleine dunkle Flecken auf ihren ansonsten glatten, zierlichen Wangen. Mrs. Watts brüllte: »Du kommst uneingeladen in mein Haus, schleichst darin umher ...«
    »Ach, hören Sie doch auf!« Beinah hätte Gem die Hand erhoben, überlegte es sich jedoch anders und steckte stattdessen beide Hände in die Hosentaschen. »Haben Sie davon noch nicht genug? Wie lange wollen Sie noch die böse Nachbarin spielen? So sehr es mir widerstrebt, es zuzugeben, Lady, wir brauchen Sie bei uns. Wir müssen zusammenbleiben!«
    Gem konnte sich nicht erinnern, je zuvor in ihrem Leben jemanden so oft mit ›Lady‹ angeredet zu haben. Trotzdem war es eine bessere Bezeichnung als das, was ihr sonst in den Sinn kam.
    Seyha wich eine Spur zurück, doch ihre Züge wahrten alles Feuer, alle Wut. »Du brauchst mich nicht, und ich brauche dich nicht. Du solltest besser zu den anderen gehen. Lass mich allein. So ist es auf jeden Fall sicherer.«
    Sicherer . Das erschien Gem eine bizarre Vorstellung. Zuvor wusste sie nicht mit Bestimmtheit, was sie eigentlich damit bezwecken wollte, ins Badezimmer zu gehen, außer vielleicht, ein wenig Dampf an der Hexe abzulassen. Nun jedoch hatte sie etwas Konkretes, worin sie einhaken konnte. »Was meinen Sie mit sicherer . Sie glauben, Sie sind die Ursache für all das?«
    Kurz löste sich Seyhas Blick von Gems. Als er sich wieder mit Gems kreuzte, blitzte es in ihren Augen nach wie vor zornig, doch es sprach auch etwas anderes aus ihnen. Gem glaubte nicht, dass sie je eine gute Psychologin werden könnte; sofern dies das war, was manchmal in Talkshows als ›Durchbruch‹ bezeichnet wurde, hatte sie keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte.
    Seyha bot ihr wenigstens einen Ausweg. »Lass mich einfach in Ruhe.«
    Gem schlug das Angebot aus. Mittlerweile war es zu spät, um sich zurückzuziehen. »Wir haben Sie in Ruhe gelassen. Es hat nicht geholfen. Ganz zu schweigen davon, dass Sie jedes Mal in Ohnmacht fallen, wenn Sie aus einem Albtraum erwachen.«
    »Was ich tue, ist ...«
    »Sie haben vor kurzem Ihren Mann geschlagen! Schon vergessen?« Ihre Stimmen schwollen wieder an. Gems Herz raste; zu spät erkannte sie ihren Fehler.
    »Oh, und was hast du getan? Ihn geküsst? Halt mir keine Vorträge, Gem. Kümmere dich einfach um deinen ...«
    Gem durfte ihr keine Atempause gönnen. Nicht, wenn sie schon wieder so anfing. »Wir verlieren alle die Nerven, aber Sie schlagen dem Fass den Boden aus. Was haben Sie gesehen, Mrs. Watts?«
    »Lass mich ...«
    »Was haben Sie gesehen? Ist Ihnen noch nie der Gedanke gekommen, dass möglicherweise alles irgendwie zusammenhängt? Sorgen Sie sich denn nicht mal ansatzweise um Joyce? Oder um Bill?«
    »Für dich ist das Mr. Wa...«
    »Bill, Bill, Bill!«, schnitt Gem ihr das Wort ab und wünschte, es wäre ihr auf weniger kindliche Weise gelungen. Sie verspürte einen Anflug von Schuldgefühlen, weil sie genoss, dass die Hänselei Mrs. Watts verletzte. Kurz kam sie zur Besinnung und erkannte, dass sie in einem Badezimmer stand und einer erwachsenen Frau eine Moralpredigt hielt! Die

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