Plan D
falschen Frauen, die falschen Freunde, die falschen Fälle gerätst, aus Sorge darüber, was so viel Falsches aus dir machen wird, Martin, ob du demnächst samt deinem schiefen Grinsen auf die schiefe Bahn gerätst und plötzlich schiefliegst mit deinen Einschätzungen, du weißt, wie viele krumme Dinger ich drehen musste, bis ich aufrecht wurde, bis ich gerade sehen, stehen, gehen konnte, wen ich alles, wie lang, wie oft, wie schlim m …
Wegener gähnte.
Jetzt kamen sie wieder, die Ratschläge aus der dunklen Sesselecke, prasselten auf ihn ein, im goldkronigen Kasernenton, von dem Mann, der Nazi und Kommunist gewesen war, der jeden Fehler des letzten Jahrhunderts zuerst gemacht hatte und dem danach nichts anderes mehr blieb, als morgens, mittags, abends Variationen von erlesener Weisheit runterzuschlingen, eine deutsche Stopfgans, der sie die Lebensklugheit fünfzig Jahre lang mit Kriegen und Niederlagen eingenudelt hatten und die seitdem täglich dicke Erkenntniseier legen konnte, deren fettstrotzende Foie Gras die Antworten auf alle politischen Fragen des Universums hortete. Wie der Berliner Müll flogen ihm die Früchtlbefehle jetzt um die Ohren, bleib standhaft, mach dich nicht gemein, lass dich nicht herab, das kenne ich alles in- und auswendig, Jupp, dachte Wegener, halt deinen Schnabel, du liegst vermutlich längst in der Speckkiste und weißt nicht mehr, wie es ist, zwischen lauter angesägten Stühlen zu sitzen, unter die jemand Sprengfallen montiert hat, für deine Moral musstest du Diktaturen lang sparen, deine Moral kann ich mir nicht leisten, ich sag’s dir ganz ehrlich, erzähl’s nicht weiter, aber ich bin ethisch pleite.
Das machte den Sesselfurzer natürlich nur noch wütender, dazu hatte der diese ewigen, auf seinen Namen abonnierten Leidlieferungen nicht angenommen, die Entnazifizierung, das Bespucktwerden, das Beschossenwerden, das Immerzuspätkommen, dazu hatte der sich nicht jahrzehntelang zur Fußmatte des marodierenden germanischen Charakterkrüppeltums gemacht, dass sein Quasisohn davon nicht wenigstens profitierte, am Ende sogar noch zum Quasimodosohn wurde, bucklig, missraten, nicht auszuhalten, wenn der jetzt die gleichen Fehler machte, aus den Dummheiten seines Lehrers nicht klug wurde, dann war alles umsonst gewesen, dann setzte sich alles fort, eine detonierende Sprengkette, die nicht mehr gestoppt werden konnte, also fuchtelte der Ex-Nazi, Ex-Kommunist, Ex-Lebendige mit klappernden Knochenhänden, krähte seine Wut heraus, dass es am Ende ja doch nicht helfe, unaufrichtig zu sein, unbürgerlich zu sein, den Regimen zu dienen, die vergänglich sein mussten , egal, wie lange sie sich hielten, alles nur Momentaufnahmen, irgendwann sei es ja doch vorbei, weil die Extreme immer faulten, weil es in ihnen gäre, modere, schimmele, zu starke Konzentration giftiger Säfte, kein Ausgleich von Basen und Laugen, nur Säuren, die alles angriffen und von innen verrotten ließen, die sukzessive lebenswichtige Funktionen zersetzten, bis der ganze gammlige Organismus zusammenklappe, zerberste, aufplatze und das Feld für seinen Nachfolger räumen müsse, in dem längst der identische Tod angelegt sei. Für den Moment wäre es hilfreich, erscheine es vielleicht als die einzige Lösung, sich dem System anzugleichen, es zu kopieren, aber wer das System nachahme, dem bleibe nichts anderes übrig, als auch das Ende des Systems nachzuahmen, der gehe mit dem System unter, und jetzt musste Wegener lachen, Josef Früchtl, du geschundener Apostel, erzähl das deinen Würmerfreunden aus der Sarg-WG, das System kopieren, wenn ich das höre, das System übertreffen, Major Mort, ist die einzige Chance, wer gleichauf ist, hinkt schon hinterher, wer gewinnen möchte, muss einen Schritt voraus sein, also eine Information voraus sein, aber eine entscheidende, denn Information ist alles, Macht, Geld, Sex, Überleben, in diesem Staat noch mehr als in jedem anderen, in dieser Stadt noch mehr als in jeder anderen, heute lässt man den Stahlhelm an der Garderobe und die Knarre in der Sockenschublade, da guckst du dumm aus der Grube, das hab ich mir gedacht, heute hört man zu, hört man ab, schreibt man mit und macht sein Spiel, lässt sich nicht in die Karten schauen und hat immer ein Ass im Ärmel, und wenn man sich verzockt, wie Hoffmann, dann wird der Hals lang und länger, aber wenn man gewinnt, dann sitzt man vielleicht mit siebzig vor seiner Datsche und lässt sich die Sonne auf den haarigen Rücken
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