Plan D
Aussage an die Öffentlichkeit zu gehen, ist Bonn glücklich.«
»Vorausgesetzt, die Geschichte hält.« Brendel schlug jetzt doch die Beine übereinander. »Die EU guckt sehr genau hin, die internationale Presse sowieso. Es darf nichts an Deutschland hängenbleiben, also an beiden Deutschlands nicht. In Zukunft muss so viel Energie aus Russland nach Europa, das meiste davon über das Territorium der DDR. Wenn es da andauernd die alte Rechtsstaatlichkeitsdiskussion gibt, bedeutet das endlose Verzögerungen, Verteuerungen, Schadensersatzforderungen, politische Debatten und so weiter. Grubers Version des Ablaufs muss beglaubigt werden. Eindeutige Beweislage, Zweifelsfreiheit, kein noch so kleiner Fleck auf der weißen Weste, der hinterher nicht rausgeht. Das ist jetzt unser Job, so viel hat Ypsilanti klargemacht.«
»Vorausgesetzt, es stimmt, was sie sagt.«
»Ich glaube, in diesem Fall war es zum ersten Mal die Wahrheit.«
Der Wagen fuhr wieder an und rumpelte über neue Schlaglöcher. Die hölzernen Sitzbänke vibrierten.
Wegener hielt sich an einer Stange der Deckenverstrebung fest. »Nehmen wir mal an, Gruber lügt. Die Stasi hat Hoffmann doch erledigt. Wir haben keinen Tatverdächtigen, wir haben nicht mal einen konkreten Verdacht, wir bekommen die Akte nicht, die Zeit läuft ab. Aber die Konsultationen dürfen auf keinen Fall abgeblasen werden. Wann genau ist Deadline?«
Brendel rechnete. »Am 10 . November. Also noch zwei Wochen. Wenn bis dahin nichts feststeht, wird alles gecancelt.«
»Da bleibt der Stasi doch gar nichts anderes übrig, als uns das zu liefern, was wir so verzweifelt suchen. Täter, Motiv, Aussage. Ein schönes, rundes Paket.«
Brendel knetete mit beiden Händen sein Gesicht. »Du meinst, die schicken uns Gruber, damit er im Auftrag der Stasi diese Brigade belastet?«
»Findest du das so unrealistisch? Was sollen die denn sonst machen? Plötzlich haben sie zwei Westbullen an den Hacken, denen man die Ergebnisse nicht einfach diktieren kann. Also wird eine Wahrheit konstruiert, die am Ende alle mit gutem Gewissen glauben können.«
Brendel starrte auf den ächzenden Boden.
»Wunderst du dich nicht darüber, was hier gerade passiert? Wir sind auf dem Weg zu irgendeinem beschissenen Geheimgefängnis, was glaubst du, warum die uns da reinlassen? Weil sie genau wissen, welche Informationen wir da bekommen, und weil sie auch wollen, dass wir diese Informationen bekommen.« Wegener suchte Brendels Blick und fand ihn nicht. »Das Ganze hätte sogar noch einen hilfreichen Nebeneffekt für die Sicherheit: Die Brigade ist nicht länger nur eine Protesttruppe mit Sprengsätzen, jetzt sind das plötzlich heimtückische Mörder. So was macht selbst bei uns einen Unterschied.«
»Gut, grundsätzlich sollten wir so was mitdenken«, sagte Brendel. »Aber es bleibt die Frage, warum die Stasi Hoffmann umbringen will. Warum so kurz vor den Konsultationen? Warum auf diese Art und Weise, die ganz eindeutig auf die Stasi selbst verweist?«
»Richard, die Art und Weise verweist so eindeutig auf die Staatssicherheit, dass letzten Endes niemand ernsthaft die Staatssicherheit verdächtigen kann! Wenn du zu einem Tatort kommst und da liegt die Visitenkarte von Manfred Mörder aus der Meuchelgasse, was denkst du dann, wer es garantiert nicht war?«
»Aber was ist das Motiv, Martin?« Jetzt hob Brendel den Blick und sah Wegener an. »Warum bringt die Staatssicherheit einen alten Mann um, der vor mehr als zwanzig Jahren mal für Krenz gearbeitet hat? Und das unmittelbar vor den wichtigsten Wirtschaftsverhandlungen, die dein Land in diesem Jahrzehnt führen muss?«
»Das ist nicht mein Land, das gehört allen Ostdeutschen gemeinsam. Toll, oder?«
»Sag es mir.«
»Wenn du mich fragst: Das herauszufinden ist jetzt unser Job.«
»Wenn es da was herauszufinden gibt.«
»Du misstraust dieser Gruber-Nummer doch auch!«
Brendel sah unglücklich aus. »Du weißt, dass ich dich voll und ganz unterstütze, darauf kannst du dich verlassen. Aber wir dürfen uns nicht verrennen. Du darfst dich nicht verrennen, Martin. Wenn die Stasi Hoffmann ermordet hat und wir das beweisen können, dann hängen wir es im Westen an die ganz große Glocke, versprochen. Aber kein Fanatismus. Mehr will ich gar nicht sagen. Lass uns nicht nach Tätern in den Reihen der Stasi suchen, lass uns nach Tätern suchen. Wie sonst auch.«
Wegener nickte.
Der Wagen bog nach links ab, stoppte, fuhr wieder an, steuerte scharf nach rechts,
Weitere Kostenlose Bücher