Plan D
scheinen.
Als Lump, sagte Früchtl. Als Lebenslump.
Als Überlebenslump, sagte Wegener. Das ist der Unterschied, toter Mann.
Selber toter Mann, sagte Früchtl. Bald.
Bald, sagte Wegener, ist nicht jetzt.
Die Zeitrechnung der Lebenden.
Eine andere habe ich nicht.
Ganz sicher nicht?
Nein.
Ein grauer Barkas-Transporter fuhr langsam ins Bild, stoppte, rollte fünf Meter weiter und stoppte wieder. Der Motor lief. Weiße Buchstaben auf der Seite: Fischereigroßhandel Badenhoo p – offizieller Lieferant der HO-Frischemärkte, Heßestraß e 69 .
Die Beifahrertür öffnete sich, ein Jeansjackenmann stieg aus, der Wind fönte ihm die Haare zu einer strohblonden Haube. Der Jeansjackenmann ging auf Wegener zu und blieb in ausreichendem Abstand stehen, um seine Hand nicht aus der Tasche holen zu müssen. »Das Taxi ist da.«
»Wenn diese Fischhandlung mal keinen Haken hat.«
Der Strohblonde machte ein Gesicht, als zerfalle er schon beim kleinsten Lächeln zu Asche, drehte sich wortlos um, seine Haarhaube wurde in die andere Richtung geblasen, er latschte zum Barkas, öffnete die Hecktüren und wartete.
Wegener war jetzt ein dummer junger Hund, der endlich die Bedeutung des Hecktürenöffnens kapieren sollte.
Der Blonde sah an ihm vorbei. Ein weiteres gesichtsloses Exemplar unter den zehntausend Kriechtieren der staatlichen Mimikry-Division, bitte nicht anschauen, nicht wiedererkennen, einfach einsteigen und die Fresse halten.
Lass es, sagte die Früchtlstimme.
Wegener zog den Brief an Karolina aus der Tasche und riss ihn durch, riss die Hälften durch, dann die Viertel, bis die Schnipsel so klein waren, dass der Wind sie zerstäubte, mit dem tanzenden Müll mischte, unter die Autos trug, in die Gullyschächte, auf die klapprigen Hausdächer, alle Worte für immer voneinander getrennt, kein einziger Satz dieses wütenden, eitlen Gejaules mehr vollständig, ein polemisches Puzzle für alle Himmelsrichtungen, das selbst die Sicherheit nicht mehr zusammensetzen konnte, egal, wie viele Agenten sie dafür locker machte.
Der Jeansjackenmann starrte dem Papierschnipselschnee nach, als wäre gerade vor seinen Augen die Weltformel vernichtet worden. Wegener ging an ihm vorbei und versuchte, fröhlich auszusehen.
Im fensterlosen Laderaum des Barkas rechts und links schmale Bänke. Aus der Bonbonduftdunkelheit Brendels Stimme: »Jetzt weiß ich endlich mal, wie sich das anfühlt.«
»Da ist der Firma Badenhoop aber ein dicker Fisch ins Netz gegangen.«
»Und dabei gilt für mich Fangverbot. Westware.«
Wegener kletterte in den Wagen. »Ehrlich gesagt, ich glaube, die Typen angeln illegal. Die sortieren nichts aus.«
Die Türen krachten hinter ihm zu. Kein Griff innen. Unter der Wagendecke sprang eine gelbliche Funzel an.
Brendel lächelte schemenhaft. »Wie geht’s dir?«
Der Barkas fuhr los.
»War schon besser. Ich hab was für dich.«
»Ronny Grubers traurige Märchenstunde?«
»Die auch. Aber nicht nur. Obendrauf gibt’s noch ein Telefon.« Wegener zog ein Minsk M6 aus der Manteltasche und drückte es Brendel in die Hand. »Mit Guthabenkarte, sind noch 7 Mark drauf.«
»Jetzt bin ich sprachlos.«
»Das wär schlecht, wo du grad ein neues Telefon hast.«
Brendel strahlte. »Was kriegst du?«
»Ich schick dir ne Schokobestellung, wenn du wieder in der Heimat bist, mach dich auf was gefasst.« Wegener lehnte sich an die Blechwand.
»Ich hab dir auch was mitgebracht.« Brendel griff in seine Aktentasche, zog den neuen SPIEGEL heraus, überreichte ihn mit beiden Händen und ironischem Ernst im schönen Gesicht.
Wegener betrachtete das Cover. Hammer und Zirkel blutverschmiert, genau wie auf dem Fax im Weltsaal, auch Überschrift und Unterzeile waren gleich geblieben: DIE STASI MORDET WIEDER . Wie ein unbelehrbarer Geheimdienst Europas Energiezukunft verspielt. Er blätterte bis zum Artikel und zählte vierzehn Seiten, Fotos vom Müggelsee bei Tag, bei Nacht, im Hintergrund der hängende Hoffmann, alte Aufnahmen von Hoffmann und Krenz, ein Interview mit Jürgen Falter zum Posteritatismus, ein verpixeltes Bild des Informanten auf einem Waldweg, Fotos von Steinkühler, Brendel, Kallweit, ein großes Foto von Lafontaine, über dessen Kopf die Europasterne wie ein Heiligenschein prangten, daneben eine Sony-Werbeanzeige für Jan »Schmuso« Hermann mit seiner neuen Hitsingle Fraglos, die Zeit hasst die Liebe . Jan Hermann strahlte künstlich-heiter in die Kamera, seine Zähne waren weiß wie
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