Plan D
Kellerloch lag. Dieser Mann suchte sein Heil im Heil eines anderen. Das war sein schlussendlicher, finaler Triumph. Dieser Mann wollte das letzte Wort haben, eine geliebte Person retten, eine, die seinen Gegnern viel wichtiger war als er selbst. Wenn ihm das gelänge, hätten sie ihn nicht besiegt.
Im Salon Dunkelheit. Brendel und Stein hingen als schlaffe Schatten auf ihren Sofas, die Kerzen nur noch zwei flackernde Stummel, in der schlanken grünen Flasche ein mickriger Rest Calvados.
»Richard.«
Brendel bewegte sich. »Wo warst du?«
»Toralf hat uns einen Hinweis auf Gabriel Opitz gegeben.«
»Was?«
»Er will, dass wir Opitz vor der Stasi in Sicherheit bringen.«
Brendel war plötzlich hellwach. »Wie kommst du darauf?«
»Toralf ist schlau, der weiß, dass er da nie wieder rauskommt. Also geht es ihm um den einzigen Mann seines Clusters, der noch frei ist. Das ist Kleyers letzte Chance weiterzuleben. Durch die Freiheit des anderen. Vermutlich standen sich die beiden ziemlich nahe.«
»Ehrlich gesagt, das klingt mir sehr nach esoterischem Firlefanz«, sagte Stein. »Ich dachte, dieser Toralf hat euch erzählt, dass er nicht weiß, wo Gabriel ist.«
Wegener schüttelte den Kopf. »Wörtlich: » Ich kann Ihnen nicht sagen, wo Gabriel ist .«
Brendel kämpfte sich aus der Couch heraus. »Sagen konnte er es nicht, weil er wusste, dass wir abgehört werden! Das hat er gemeint! Aber andeuten konnte er es.«
»Sie müssen sich verabredet haben, für den Fall, dass etwas schiefgeht«, sagte Wegener. »Entgegen allen Regeln. Die Sache mit der Bombe war einfach eine Nummer größer als der Kram, den sie sonst so machen. Und es ist ja auch was schiefgegangen.«
»Nehmen wir mal an, du hast Recht.« Brendel klopfte einen Zigarillo aus seiner Schachtel. »Die machen einen Treffpunkt aus.«
Stein verzog das Gesicht. »Aber doch niemals übermorgen um sieben im ›Jelzin‹! Da sitzt abends die halbe Normannenstraße, löffelt Soljanka und erzählt sich abgehörte Witze!«
»Was genau hat er gesagt?«
Die Türklingel summte.
Stein stand auf und ging aus dem Raum.
Brendel zog an seinem Zigarillo. »Er hat ganz eindeutig das ›Jelzin‹ erwähnt. Und diese Schwester, die er offenbar nie hatte.«
»Diese erfundene Schwester war nur ein spontaner Vorwand, um das Datum nennen zu können. Den 27 . Oktober. 1 9 Uhr. Übermorgen.«
»Wir sollen einen zweiten Toten suchen«, sagte Brendel, »das hat er auch erwähnt. Einen, der hinterrücks durch Kopfschuss hingerichtet wurde. Was soll das?«
»Keine Ahnung«, sagte Wegener.
Brendel ließ sich zurück ins Sofa fallen. »Es wurde niemand von hinten erschossen. Jedenfalls nicht in dieser Angelegenheit.«
»Ihr sauft, und ich muss arbeiten.« Kayser polterte herein und ließ sich in Steins Sessel fallen.
Stein setzte sich neben Brendel, der sein Glas auffüllte und es Kayser rüberschob: »Französisch.«
Kayser zog seine Jacke aus, griff nach dem Glas und nippte. »Erstklassiger Calvados. Gemütlich habt ihr’s hier. Mal sehen, wie lange noch.«
»Raus mit der Sprache, Hiob. Was ist los?«
»Ronny Gruber.« Kayser stellte das Glas ab. »Ist seit neun Jahren inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. IM Hermes.«
Brendels Kopf sackte auf die Brust. »Sagt wer?«
»Sagt Pullach und kann es anhand mehrerer glaubwürdiger Quellen belegen.«
Stille.
»Eine Finte«, sagte Frankenstein fassungslos, »die ganze Gruber-Brigade-Nummer eine riesengroße Finte?«
Kayser nickte und sah Wegener an. »Herr Hauptmann, ich gratuliere. Sie haben eine gute Nase für Geheimdienstscheiße.«
Wegener stellte fest, dass er angefangen hatte zu lachen, laut und hemmungslos, so hemmungslos, dass es ihn schüttelte, und er konnte erst aufhören, als er keine Luft mehr bekam.
Mittwoch, 26. Oktober 2011
26
D ie Motorhaube der S-Klasse schob sich aus der Toreinfahrt des Präsidiums wie die Schnauze eines schwarzen Hais. Langsam schwebte der Rest der Limousine aus ihrer eckigen Höhle, stoppte kurz, dann glitt der Hai auf die Straße.
Wegener saß hinterm Steuer von Christa Gerdes’ altem Wartburg und beobachtete im Rückspiegel, wie sich der Mercedes in den Verkehr einfädelte. Er drückte sich in den engen Wartburgsitz und klappte die Sonnenblende runter. Der Duftbaum Mecklenburger Landapfel pendelte unter dem Plastikhimmel des Wagendachs.
Auf dem Bürgersteig blieben die üblichen Gaffer stehen, ein junger Mann machte Minsk-Bilder, die S-Klasse kam näher, rauschte
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