Plan D
vorbei, hinter den getönten Scheiben die Umrisse von Fahrer und Beifahrer, das breite Heck mit dem massiven Kofferraumbuckel wurde kleiner, Linksblinken, dann bog der Mercedes in Richtung Zentrum ab.
Aus der Reihe parkender Autos löste sich ein hellblauer Phobo s I, kurz darauf startete ein vergammelter, roter Phobos Universal.
Wegener duckte sich halb über den Beifahrersitz, blieb in Deckung, zählte zehn, fünfzehn, zwanzig Sekunden, tauchte wieder auf.
Die Straße war leer.
Er startete den Motor. Wildes Geknatter. Der Mecklenburger Landapfel hatte verloren, sofort wehte Frittengeruch durch alle rostigen Ritzen und porösen Dichtungen.
Hier drin nutzt dir dein Bonbon-Parfum einen Scheiß, dachte Wegener und gab Gas, in Boltenhagen stinken wir beide gleich, Richard Brendel. Der Wessi und sein Ossi: zwei Ölsardinen, die in ihrer eigenen Büchse anreisen.
*
Die Auffahrt zum EastSide war an beiden Seiten mit übergroßen Terrakottatöpfen gesäumt, in denen kugelige Buchsbäume wuchsen, ein Spalier aus abgeschnittenen, grünen Köpfen, fand Wegener und wechselte auf die ochsenblutfarbene Abbiegespur mit den fünf eingearbeiteten Messingsternen. Ein asphaltierter roter Teppich, der den Westbonzen offenbar ein bisschen Heimatgefühl verschaffen sollte. Am Ende der Buchsbaum-Kurve versperrten zwei Schranken den Weg.
Wegener stoppte.
Eine gut gefüllte graublaue Pagenuniform mit goldener Doppelknopfreihe erschien aus dem Nichts und klopfte sichtbar angewidert gegen die fettige Wagenscheibe.
Wegener kurbelte.
»Kann ich Ihnen helfen?« Der Page näselte irgendwo zwischen gelangweilt und genervt. Auf seinem rasierpickligen Hals wohnte eine Melone mit Oberlippenbart, in der Hand hielt er eine Dose Club-Cola Sauerkirsche light. Das Namensschild an der Uniformbrust sprach Englisch: You are talking to Sascha Günzow .
»Ich hole einen Kollegen ab.«
Jetzt hatte Sascha Günzow Mitleid. »Aber sicher nicht im EastSide-Resort, der Herr.«
»Aber sicher doch. Also, die Schranke, wenn ich bitten darf.«
»Sie wohnen nicht im Resort, das habe ich richtig verstanden?« Der Page trank seine Cola mit einem großen Schluck aus und warf die leere Dose zielsicher in einen öffentlichen Müllkorb.
»Ich wohne nicht im Resort und ich habe nicht vor, jemals im Resort zu wohnen. Ich habe aber vor, meinen Kollegen abzuholen, der im Resort wohnt, und zwar jetzt.«
Das genüssliche Lächeln der Teilzeitmächtigen hielt Einzug in Günzows Melonenmiene. »Der VIP-Car-Walk ist leider für unsere Premiumguests reserviert. Ich muss Sie bitten, vorsichtig zurückzusetzen.«
Wegener klappte seinen Dienstausweis auf. »Sascha, mach die Schweineohren auf, in zehn Minuten hab ich deinem Chef verklickert, dass du sämtliche Premiumguests für die Staatssicherheit ausspionierst.«
Wegener kurbelte die Scheibe wieder nach oben.
Die Melone war blass geworden. In ihrem wässrigen Fruchtfleischhirn duellierten sich jetzt die ewigen Entscheidungsalternativen des Deutschen, Buckeln oder Brüllen, Buckeln oder Brüllen, Buckeln oder Brüllen. Buckeln gewann. Die Schrankenarme klappten geräuschlos nach oben. Günzow stand mit geballten Babyfäusten daneben und feuerte hundert Blickblitze pro Sekunde, die alle am öligen Schutzschild des Wartburgs abprallten.
Wegener knatterte durch das Terrakotta-Spalier bis vor die weiße Freitreppe und stellte den Motor ab. Über dem Stahlzelt des Vordachs streckte sich der Devisendödel zu einer immer schlanker werdenden Glaswurst in die Luft. Das Plasma-Megaposter leuchtete heute in Gelb mit schwarzen Versalien:
DIE SCHWIERIGKEIT IST NICHT, NEUE IDEEN ZU FINDEN, SONDERN DEN ALTEN ZU ENTKOMMEN. John Maynard Keynes
Brendel erschien unter dem Vordach, setzte eine schwarze Sonnenbrille auf, sah sich um, entdeckte den Wagen und stieg lässig die weißen Stufen herunter, beide Hände in den Hosentaschen, von seinem hellen Trenchcoat umweht, ein sehniges Marktwirtschafts-Model auf der Showtreppe des Erfolgs, nur dass unten nicht der polierte Mercedes stand, sondern Christa Gerdes’ fahrbare Altmetallsammlung, schmierig, klappernd, stinkend. Die Schrott-Klasse.
Was für ein Abstieg, dachte Wegener.
Brendel zog das dünne Türchen auf, quetschte sich auf den Beifahrersitz, nahm die Sonnenbrille ab. »Guten Morgen. Und?«
»Morgen. Ein Phobos und ein Universal.«
»Was glaubst du?«
Wegener startete den Motor. »Staatssicherheit. Wer sonst. Unser Kontrollposten steht kurz vor Pankow, wenn die so lange
Weitere Kostenlose Bücher