Plan D
heiße Wasser stundenlang auf sich herabregnen zu lassen, aber das war ein Privileg vergewaltigter Filmfrauen. Männer mussten sich mit beiden Armen gegen die Wand stützen, die Muskeln anspannen und das verzweifelte Tier geben, beim aussichtslosen Versuch, mit den nackten Händen Mauern umzuwerfen, Wasser im versteinerten Gesicht, finster Fugen anstarrend.
Die Klingel brummte.
Zehn Sekunden nur Wasserprasseln.
Die Klingel brummte wieder, jetzt länger.
Warum heißt das Ding Klingel, wenn es brummt, dachte Wegener, drehte den heißen Strahl ab, stieg aus der Dusche und knotete sich einen sexy Handtuch-Minirock um die Taille, watschelte fluchend durch den Flur, rutschte fast aus, zog die Wohnungstür auf, sämtliche Kopfschmerzen waren plötzlich weg, sein Puls erodierte, vor ihm stand in einem hellbraunen Trenchcoat mit schwarzem Rock, schwarzen Stiefeln bis über die Knie, schwarzen Lederhandschuhen, einem dunklen Rollkragen und traurigen, rehbraunen Augen im Sommersprossengesicht Karo, meine Lebenslänglichliebe Karo, dachte Wegener, mein bezauberndes Leidwesen.
»Komm rein«, sagte er und ging einen Schritt zur Seite.
Karolina kam rein.
Wegener machte die Tür zu.
Im Hintergrund tropfte die Dusche.
Wegener war jetzt ein stummer Schülerlotse im Saunabereich, wies den Weg in Richtung Küche, obwohl der sich in den letzten Monaten nicht geändert hatte, griff die beiden leeren Goldkroneflaschen vom Tisch und fügte sie gekonnt in die Installation aus Altglas ein, die im Altglasinstallationskarton neben dem Kühlschrank vor sich hin müffelte.
»Willst du dir was anziehen?« Karolina klang zaghaft.
Will ich nicht, dachte Wegener und setzte sich auf auf den Küchenstuhl mit der angeknacksten Rückenlehne. Die Rückenlehne knackte. »Musst du heute nicht ins Ministerium?«
»Ich hab mich krankgemeldet.« Karolinas Blick kletterte über Mülltüten, dreckige Teller, verklebte Gläser.
»Setz dich«, sagte Wegener.
Karolina setzte sich. »Hast du Urlaub?«
Wegener schüttelt den Kopf. »Ich bin gestern erst acht Stunden befragt und dann freigestellt worden.«
»Zur Mordermittlung befragt?«
»Ja.«
Karolina starrte ein Loch in den Küchenboden. »Warum?«
»Vielleicht weißt du das ja längst.«
»Nein, ich weiß es nicht.« Karolina sah ihn an. Die braunen Augen schimmerten glasig hinter einem Tränenfilm, der in den Augenwinkeln zu dicken Tropfen wurde. »Ich habe Hoffmann ein Mal getroffen, vor drei Monaten. Ich sollte ihn fragen, ob er für uns arbeitet. Er hat gesagt, später, vielleicht. Das war’s. Mehr weiß ich nicht, Martin, wirklich nicht.« Die Tropfen hatten auf ihrem Weg zum Kinn zwei glänzende Spuren hinterlassen. »Warum haben sie dich freigestellt?«
»Gestern ist ein BND-Mann erschossen worden. Im EastSide.«
Karolina staunte ihn mit halboffenem Mund an.
»Christian Kayser, war mit mir an dem Fall dran. Jetzt ist eine Delegation vom Bundesnachrichtendienst hier, die die ganze Sache mit dem K5 noch mal komplett aufrollt. Vermintes, bilaterales Geheimdienst- und Diplomatenschlachtfeld. Und das erzähle ich dir alles. Dafür können sie mich lebenslang in Pankow Strafzettel schreiben lassen, Karo, aber ich erzähl dir das.«
Karolina hob beide Hände und ließ sie wieder fallen. »Der Hoffmann-Vorgang war streng vertraulich eingestuft! Das heißt, unter Strafandrohung, mit niemandem drüber reden, ohne dass die Informationen autorisiert sind! Was hätte ich denn tun sollen?«
»Vertrauen.«
Karolina schluchzte so schwächlich, dass Wegener schlucken musste.
»Bitte«, sagte Karolina. Noch mehr Tränen tropften.
»Und du wolltest mich zum Arzt schicken, Karo, du sagst mir, ich sei paranoid! Was fällt dir eigentlich ein?«
»Das war auf Josef bezogen, auf sein Verschwinden!«
Wegener griff nach einer Rolle Küchenpapier und stellte sie auf den Tisch. Karolina rupfte mit zittrigen Händen zwei Blätter ab und putzte sich geräuschvoll die Nase.
»Sind die Informationen mittlerweile autorisiert?«
»Weiß ich nicht.«
»Um was ging es?« Wegener merkte, dass sich sein Handtuchknoten löste und zog den Stoff mit beiden Händen zusammen.
»Ist das jetzt nicht egal?«
Wegener sah Karolina an.
»Es ging um ein strategisches Papier«, sagte Karolina kraftlos, »in weiten Teilen ein Energieversorgungskonzept, das er schon lange vor der Wiederbelebung erarbeitet hat. Den sogenannten Pla n D.«
»Schon mal gehört.«
»Ich bin vor ungefähr einem Jahr drauf gestoßen, während
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