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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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über und war nach wenigen Sekunden nur noch eine Wellenbewegung, aus der sich im Sekundentakt zwei Ellenbogen wühlten und wieder in die See gruben, sich wieder herauswühlten und hineingruben, rhythmisch, kraftvoll, zu allem entschlossen.
    Brendel sah ihr nach. In seinem Blick lag eine gelungene Mischung aus Bestürzung und Gier.
    Wenn ich sie irgendwann suche, dachte Wegener, fange ich in den Pinguin-Clubs an und mache in den Schwimmvereinen weiter, frage nach der schönsten Kraulerin, nach einer Frau mit Entengrütze in den Augen und Himbeerwarzen auf einer flachen, weichen, hellen, grandios abwesenden Brust. Es hat eine Zeit gegeben, dachte Wegener, in der man dieses Mädchen kennen lernen konnte, in der man sie für sich gewinnen und zu ihr halten konnte, als ihr Vater noch lebte, als man ein Teil ihrer unwirklich tragischen Familie hätte werden können, ein solidarischer Kämpfer, belohnt mit der eisenhüttenstahlharten Zuneigung dieser wunderschönen, spöttischen, grünäugigen, flachbrüstigen, schamhaarigen, schlitzhügeligen Professorentochter. Wegener spürte, wie sein Penis im kalten Wasser kribbelte, wie sich eine lähmende Wehmut in sein Gemüt schraubte, darüber, dass ihm all das nicht passiert war und nie passieren würde, dass seine Liebesfähigkeit um die Chance einer historischen Prüfung gebracht worden war, eines Tests der Treue im Existenziellen statt im Profanen, doch Marie war nur noch eine kräuselnde Ostseeschaumkrone, längst unerreichbar geworden in der viel zu schnell vorangeschrittenen und voranschreitenden Zeit. Mit dieser Frau würde sich die Karolinatrauer versenken lassen, dachte Wegener, mit dieser Frau wie mit keiner anderen.
    Am liebsten wäre er einfach im Wasser geblieben, statt mit dem nackten Chefermittler frierend über den Strand zur Brücke zu trippeln, den Schlüssel und die Ausweise vom Anleger zu sammeln und nass in die kalten Klamotten zu steigen. Am liebsten wäre er Marie hinterhergeschwommen, hätte sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass er sie durch und durch verstand, statt in Christa Gerdes’ fettstrotzendem Wartburg zurück nach Berlin zu knattern, neben sich Brendel, dessen Handy klingelte, dessen Gesicht sich in eine ausdruckslose Wachsmaske verwandelte, während ein namenloser, hochrangiger Mitarbeiter des BND ihm in kargen Worten mitteilte, dass man Dr . Christian Kayser am Nachmittag tot aufgefunden habe, in seiner Suite im EastSide, halbnackt auf dem Bett, ein Loch im Schädel, das Gehirn verteilt über acht Quadratmeter safranfarbene Seidentapete.

Donnerstag, 27. Oktober 2011

28
    W egener öffnet die Augen, schließt sie wieder, öffnet sie wieder. Der verlogene Ventilator klebt über ihm an der Decke wie ein rundliches Insekt. Die Beine des Insekts drehen sich. Sie flirren im Kreis, verschwimmen zu einer fast unsichtbaren Scheibe und treiben kühle Lüftchen durchs Zimmer, professionell gefächelte Linderung für alles, was schmerzt. Danke, sagt die heiße Stirn mit matter Früchtlstimme, hör bitte nicht auf, ich fiebere dem Ende entgegen.
    Wegener starrt den Ventilator an. Seine leise surrenden Rotorblätter sind ein hypnotischer Quirl, der Geträumtes, Erlebtes, Gewünschtes, Gefürchtetes, Vergangenes, Gegenwärtiges untrennbar vermixt, der sämtliche Wahrnehmungen zu einer sämigen Situationsmayonnaise anrührt, in der später nichts mehr auffindbar sein darf, keine Wahrheit, keine Halbwahrheit, keine Lüge. Alles wird zu einem homogenen Brei gekuttert, der ausgelöffelt werden muss, weil er nun mal das ist, was übrig bleibt, auch wenn niemand dieses Zeug bestellt hat, auch wenn es für jeden irgendeinen bitteren Beigeschmack besitzt, zu fad, versalzen, unnötig scharf, wer jetzt wählerisch sein will, bleibt hungrig, à la carte war gestern, in der Deutschen Kulinarischen Republik wird gegessen, was auf den Tisch kommt.
    Junge, redet Früchtl aus den Tiefen der Matratze, komm bald wieder, nein, falscher Text, ach meine Hamburger Jahre, Martin, der Mensch ist ein böses, ein sprechendes Tier, das wollte ich sagen, das wusstest du immer, das raune ich täglich, im Jenseits, im Hier, ich hab einen Schimmer, du röchelst so kläglich, was möchtest du fragen?
    Wegener dreht sich auf den Bauch.
    Ist ja gut, sagt Früchtl und hustet ein bisschen, ich hör ja auf mit den bekloppten Reimen, aber lieg du mal tagtäglich als Atheist in einem Gottesacker und vertreib dir die Ewigkeit ohne Westfernsehen, ehrlich, das macht keinen Spaß, komm,

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