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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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vielleicht gerade deshalb Magdalena ist, kürzere Haare, weniger Schminke, nicht die »Molotow«-Uniform, sondern Zivil, tatsächlich, dachte Wegener, das Muttermal am Hals, die Pelzstiefel mit dem hellen Saum, dieses Den-Rücken-Durchbiegen beim Lachen, während Brendel ihr ins Gesicht grinst, der charismatische Spaßvogel, der blöde Hund, erst Karolina und jetzt Magdalena, das schafft kein Zufall, das schafft nur ein Komplott, ein Komplott aller gegen Martin Wegener, der seit einer halben Stunde durch diese sich verzweigenden Gänge irrt wie ein garnloser Theseus, der immer wieder die verkehrten Abzweigungen nimmt, der dauernd vor falschen Schaufensterscheiben steht und nie vor den richtigen Türen, ein Zuschauer beim Saufen, Rauchen, Reinstopfen der Elite, und mittendrin das Magdalena-Brendel-Paar, flirtend, quasselnd, sich annähernd, hinten in der Ecke Frankenstein, vom Qualm eingenebelt, aber trotzdem unverwechselbar, die schwarze Mephistokappe, das schlotternde Jackett, vor sich eine dampfende Portion Grünkohl, Frankenstein gestikulierte jetzt, hob seinen Bierkrug, wie man einst den Führer grüßte, stieß mit zwei Männern an, die ihm gegenübersaßen, Wegener folgte dem Gang, merkte plötzlich, dass er rannte, aber dieser grün beleuchtete Schlauch knickte rechts ab, wo er nach links gemusst hätte, wurde zu einem sinkenden Bogen, zu einer Spirale ins nächste Untergeschoss, Karat-Musik donnerte ihm entgegen, künstlicher Nebel stieg auf, Blitze wurden aus der Decke geschossen, Retro-Disco, also zurück, die Spirale hoch, den Gang entlang, rechts eine schummerige Höhle, in der Männer und Frauen in breiten Messingwannen voller warmer Sahne badeten, Pasta löffelten, Soße aus den Wannen auf ihre Teller schöpften, Mozzarellakugeln nacheinander warfen, Gorgonzolabrocken stapelten sich wie blaugrün marmorierte Seife, eine Höchstenszwanzigjährige erhob sich, Sahne floss über ihre stehenden Brüste, troff aus ihrem blondverklebten Schamhaar in den geöffneten Mund eines knienden Mannes, der Wegener jetzt entdeckte, künstlich-heiter lächelte, Jan »Schmuso« Hermann, nackt und prall, eine aufgeblasene Hautpraline, und schon dröhnte sein Machwerk aus versteckten Lautsprechern, Fraglos, die Zeit hasst die Liebe , Wegener zwang sich zurück zur Schaufensterscheibe, Brendels Arm jetzt schon um Magdalenas Hüfte, ein kräftiger Besatzer, der die Dinge mal zurechtrückte, jawoll, der dem Bonbonparfum eine Zielperson schenkte, zaghaftes Prosit, entschlossenes Trinken, Frankenstein fraß, Wegener lief durch eine gewundene Röhre in Richtung Eingangslounge, musste jede Biegung noch mal nehmen, sich ducken, sich dünnemachen, sich entscheiden, rechts oder links, erkannte nichts wieder und kam sich längst vor wie in einer mutierten Pipeline, die nur in die Irre führen konnte, ein paar Stufen hoch, dann rechts ab und irgendwo rechts von ihm musste doch diese verdammte Kaverne liegen, aber Türen gab es nur auf der anderen Seite, erst eine kleine BULETTO-Station voller dicker Männer, die triefende Käse-Wart-Burger mit Rauke-Mayonnaise verschlangen, mittendrin Grill-Gründer Seifer persönlich, der jetzt seinen Mund aufriss, zubiss, zerlaufener Käse hing an seinem Kinn, Wegener wankte, angeblich existierten irgendwo auch Übergänge zwischen den Sektionen, Geheimtüren, die leider unauffindbar blieben, die noch nie jemand entdeckt hatte, nichts als Molotow-Gerüchte, und er rannte ja auch schon wieder, bog ja auch schon wieder falsch ab, drehte sich um, merkte, wie die BIONIER-Brause-Wodka-Drinks ihn hysterisch werden ließen, unheilvolle Bilder heraufbeschworen: die Schaufensterscheibe und dahinter Brendel-Magdalena Arm in Arm, wobei Brendel fast wie Früchtl aussah und trotzdem nicht Früchtl sein konnte, Frücht saß schließlich im eigenen Kopf und wollte jetzt eine seiner ewigen Reden halten, unbedingt, ließ sich nicht abstellen, die Geschwüre bleiben uns immer erhalten, Martin!, rief Früchtl lallend, wer sich Hoffnungen macht, dass die Menschheit einmal aus ihrer Vergangenheit klug wird, dass sie nicht aus der Geschichte ihrer Sieger, sondern aus der Geschichte ihrer Verlierer lernt, der hat das Prinzip Sozialismus verstanden, denn der Sozialismus ist das Prinzip Hoffnung, eine kindliche und naive Hoffnung zwar, aber genau deshalb auch eine bärenstarke, die immer wieder neue Hoffmänner produziert, grandiose Idioten, die nicht begreifen, dass Utopien nur wünschenswert sind, weil man sie nicht

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