Plan D
von Tausenden orangefarbenen Straßenlaternen, ein gnädiges Licht, das schmeichelte, statt anzustrahlen, der dreckig schimmernde, neblige Nimbus Berlins.
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U nd abwärts geht es, dachte Wegener, immer schneller als aufwärts, Existenzregel Nr . 1 für den Misstrauer Nr . 1, hinauf musst du dich quälen, hinaufzukommen ist ein Kampfprojekt, dein teleologischer Trieb, die große Anstrengung, aber hinunter rutschst du, fällst du, fährst du, so wie auf dieser garnichtmehraufhörenden Rolltreppe, stadtgelb und dumpf beleuchtet von Original-Straßenlaternen, im Fünf-Meter-Abstand an die steilen Wände geschraubt, gestohlen oder bezogen über einen der Oberen Eintausend, die hier regelmäßig absteigen, hinabsteigen, was wollen dir die »Molotow«-Macher damit sagen, eine Treppe trägt dich in die Unterwelt, die Treppe ist illuminiert wie eine Berlinstraße, also ist sie der offizielle Weg in den Abgrund, geduldet, genehmigt, die eine Ausnahme, die jedem klarmacht, dass es keine weitere geben wird, nur hier übertrifft man den Westen in allem, was der Westen bietet, für diesen Keller hat man sich jede gute Idee aufgehoben, jeden bizarren Einfall, sämtlichen Luxus, hier kriegt man mehr von dem, was es nirgendwo gibt, als irgendwo sonst, einfach stehen bleiben, alles geht von selbst, wird sich finden, wird dich mitnehmen, hindurchtragen, aufbauen und fertigmachen, spuckt dich irgendwann wieder aus, in den Hinterhof, durch einen tiefergelegten Backstein-Anus, und da wartet kein elektrischer Fahrstuhl, da warten uralte, ausgelatschte Steinstufen, das Spiel ist vorbei, nach oben muss man zu Fuß, wie das Leben, so das »Molotow«.
Die Türsteher, zwei extra für den Job importierte Neger, die dem Volkspolizeiausweis nur einen flüchtigen Blick schenkten, Wegener weiterreichten in einen langen Flur, ebenfalls laternengelb, eine gläserne Garderobe, noch mal Abwärtsstufen, Magdalena, dachte Wegener und bekam einen Zahlchip und einen Begrüßungs-BIONIER-Brause-Wodka in die Hand gedrückt, Geschmackssorte Rhabarber, gibt es dich noch, Muschel-Magdalena, Mandelaugen-Magdalena, Mast-Magdalena, bist du noch hier, stolzierst du noch durch den Bunker der gesetzlosen Lustlumpen, durch konfuse Gänge, Zimmerchen, Säle, Flure, Sackgassen, bringst du den abgetauchten Funktionären und Beamten und Künstlern und Kombinatsvorständen und Zauberern und Alleskönnern und Nichtskönnern noch ihre Muschelzylinder, ihre Speckchips, ihr Chutney, ihr Mascarponepüree, gießt du der Nomenklatura immer noch Rotkäppchen Superb in den Hosenstall, weist ihnen den falschen Weg durch diese gemauerte Verwirrung, weit nach hinten, tief hinein in das noch nie durchschaute Labyrinth, in die Dunkelkammern, Boudoirs und Geheimkabinen mit ihren Tresortüren, Minibars, Wasserbetten, Badewannen, Großbildfernsehern, mit ihren uneinnehmbaren Rückzugsräumen, in denen man für Stunden, Nächte, Tage verschwinden konnte, um Pikantes, Verträumtes, Orgiastisches anzuzetteln, durch deren Delikatessluken alles hineingereicht wird, was der Insasse wünscht, dort, wo die Welt keine Rolle mehr spielt, wo nur das Vergnügen zählt, der von der Erdoberfläche abgeschottete Privatgenuss, Hochgenuss, Höchstgenuss. Wegener schlenderte über glänzenden Betonboden durch die Entrée-Lounge, vorbei an schiefen Wänden, die so taten, als sei das ganze Molotow in eine Felsspalte gerutscht, verschoben, verschachtelt, aus den Boxen rauschten Stalingradgeräusche, alte und neue, Gewehrsalven, Handy-Klingeln, Kirchenglocken, dazwischen Budapester Straßenlärm, Schreie von Markthändlern, Zeitungsjungen und Verwundeten, ein paar Brahmstakte, die Lounge war leer, der Türraum auch: Sieben Öffnungen protzten vergoldet in den Wänden, jede unterschiedlich geformt, jede führte in eine andere Richtung, in eine andere, nahe Zukunft, Viereck, Dreieck, Stern, Trapez, Raute, Kreis, Halbkreis, wer sich hineintraut, muss sich allein zurechtfinden, bekommt keine Antworten, keine Orientierungshilfe, darf niemanden fragen und wird belogen, wenn er es doch tut. Wegener ging durch die Kreisöffnung, runder Eingang, dann rechts, rechts, rechts, links, rechts , hatte Frankenstein geschrieben, Tolstoi-Kaverne , die Beute ist verloren, wir sind es auch. Wegener saugte an seinem Begrüßungs-BIONIER-Brause-Wodka, ging den abschüssigen Gang hinunter, die Wände liefen eng aufeinander zu, ließen nur eine halbe Türbreite Platz, Richtigdicke hätten hier umdrehen müssen, zurück durch den
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