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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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einem passiert, bleibt dumm hinter Misstrauensmauern und Fettvorhängen, ein isoliertes, augenloses Gehirn in einer Nährlösung aus Millionen Möglichkeiten. Gruber erschossen, Kayser erschossen, die Stasi unschuldig, der ganze Hoffmannfall so undurchsichtig wie diese verklebten Autofenster, durch die man auf den schummrigen, schleichenden Verkehr starren musste, während die linke Hand in der Jackettinnentasche nach dem Besuchsvisum, dem Terminschein tastete, beides fand und trotzdem weiter daran herumfummelte. Die Dokumente waren erteilt und ausgestellt, also waren sie gültig. Falls die Abberufung aus der laufenden Ermittlung nicht rückwirkend registriert wurde, falls der Stasipapierkrieg aus Sicherheitsgründen immer noch handschriftlich lief, über Vorlagen, Stempel, Unterschriften, ohne Computer, dann gab es eine Chance.
    Und wenn ich dir erzählen würde, sagte Früchtl, dass du nie mehr, aber das Gerede ging im lauter werdenden Trommelfeuer des Regens unter, der plötzlich auf das Plastikdach hämmerte, der Bäche in den Spurrillen der Fahrbahnplatten fließen ließ, wie aus einer Gießkanne pladderte und die Rapsolschmierage abspülte, den Blick freilegte auf noch mehr Schornsteine, Plattenbauten, Brachflächen, Fabrikruinen, die Wischerärmchen hampelten befreit hin und her, Wegener wurde wieder schneller, grinste, sah sich grinsend im Innenspiegel, sah sein verzerrtes, alt gewordenes Gesicht mit der gut erhaltenen Zahnreihe, den flüchtenden Haaren, den Falten, die sich immer tiefer in seine Haut gruben, den Augen, die ihn so grüngrau anstarrten, als gehörten sie einem gewissenlosen Klon, der in ihm hauste, der ihn exakt ausfüllte, der den immer träger werdenden Hauptmannkörper als schweren Mantel trug, als gut gepolstertes Schutzschild, der durch zwei Kopflöcher feindlich in die feindliche Welt stierte, ein Gegner, ein Partner, nimm dich in Acht vor diesem Typen, dachte Wegener, der ist das Verarschtwerden leid, der holt zum Gegenschlag aus und zettelt einen Krieg an, den er nicht gewinnen kann. Einen Krieg, den jemand für ihn verlieren muss. Und dieser jemand bist du.

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    H inter glänzenden, schwarzen Baumstämmen erschienen Teile einer lang gestreckten Ziegelfassade: fleckige Dachschindeln, Stufengiebel, Erker, Balkone, aus denen sich nach und nach der Mittelrisalit und die Seitenflügel eines Herrenhauses zusammensetzten, drei Etagen verwitterter, dunkelvioletter Steine und morscher Sprossenfenster, schiefe Dachgitter, enge Türmchen.
    Wegener ließ den Phobos gemächlich über die breite Kiesauffahrt knirschen. Rechts und links von ihm übergroße, brüchige Amphoren, in denen nichts wuchs, dazwischen schlanke Statuen, die Schädel vom sauren Regen zu konturlosen Ovalen zerfressen, lauter ausgelöschte Gesichter, leere, grobporige Kugeln auf moosigen Leibern. Der Phobos schlich an ihnen vorbei, knirschte bis zum Scheitelpunkt des Rondells, stoppte. Ausgetretene Stufen führten zu einer grün lackierten Doppeltür, an beiden Seiten keulenförmige Säulen, die das nachträglich montierte Vordach aus rostigen Eisenstangen und Wellblech trugen. Auf dem Rasenrund ein stillgelegter Springbrunnen voll nassem Laub. Armdicke Weinranken waren in jahrzehntelanger Arbeit an den Seitenflügeln des Gemäuers nach oben geklettert. Ihre großflächigen, gezackten Blätter leuchteten blutrot.
    Hier werden sie also entsorgt, dachte Wegener, die Funktionäre und Kaderköpfe. Im Bonzen-Endlager Feierabendheim Alpha . Er ließ den Wagen am Treppenaufgang vorbeirollen, hielt nach zwanzig Metern wieder an, parkte halb auf dem Rasen und stieg aus.
    Kräftiger Herbstduft schlug ihm ins Gesicht, das unnachahmliche Rasierwasser der Natur, ein viel zu penetrantes, olfaktorisches Omen: schimmelnde Pilze, saftige Moospolster, feuchte Erde, harzige Baumrinde, gammlige Äpfel.
    Das Ende ist nah, sagte Früchtl.
    Wegener schlurfte über den Kies, stieg die ausgetretenen Stufen hoch, zog an der goldenen Klinke des rechten Türflügels und betrat eine überheizte Halle mit geschwungenem Treppenaufgang ins Obergeschoss, schwarz-weißem Schachbrettfliesenmuster, antiker Standuhr, Geweihen an den Wänden und einer verglasten Kabine, in der ein hagerer, mittelalter Scheitelträger hinter einem Nanotchev saß und in einem dünnen Büchlein blätterte. Der Hagere legte das Büchlein weg und schob eine kleine Scheibe im Kabinenglas zur Seite.
    »Sie wünschen?«
    Wegener hielt seinen Ausweis in die Sprechluke. »Am 17 . Oktober war

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