Plan D
schob sich langsam ins Bild, ihre lang gezogene, erleuchtete Gerade rückte unaufhaltsam vor, die Ulbrichtschneise, der Weg ins Nirgendwo, das brennende Kino International war ein pfenniggroßer, heller Punkt, um den ein schwacher Kranz aus bläulichem Licht zuckte, Sirenen heulten immer noch gedämpft aus allen Ostbezirken, wollten sich beeilen, kamen nicht vom Fleck, versuchten, sich durch die verstopften Straßen zu drängeln, in denen der Verkehr zwischen improvisierten Kontrollposten feststeckte.
Alles blinkte, nichts bewegte sich.
Berlin stand still.
Vielleicht bin ich in diesem Moment die einzige Schnecke der Stadt, die vorankommt, dachte Wegener, ein vorbildliches Exemplar meiner Gattung: Ich krieche im Kreis.
Als Günzow erschien, schlurfte er, tapste mit hängenden Schultern an den Tischen vorbei, zählte die Nummern ab, sah Wegener und erstarrte für die Dauer eines gut vorbereiteten Elfmeters. Dann drückte er den Rücken durch, wölbte seinen Uniformbauch noch weiter nach vorn und versuchte, ein selbstbewusster Page zu sein. Der selbstbewusste Page kam zum Tisch und setzte sich. Sein Melonengesicht schwitzte.
»Herr Günzow, Sie kennen mich noch?«
Der Mund der Melone bog sich nach unten. Günzow guckte wie die Frustrierte aus der Phobos-Werbung.
Wegener schob seinen Ausweis über den Tisch. »Dann wissen Sie ja, dass ich von der Kriminalpolizei bin.«
Eine ältliche Kellnerin lief am Tisch vorbei, blieb stehen und ging drei Schritte rückwärts.
»Ein großes Bier, bitte«, sagte Wegener, »und der korpulente junge Mann in Uniform nimmt eine Club-Cola Sauerkirsche light.«
»Groß oder klein?«
»Klein, bitte. Er bleibt nicht lang.«
Die Kellnerin guckte betreten und machte sich auf den Weg.
Günzows Glubschaugen liefen über.
»Woher ich weiß, dass Sie Club-Cola Sauerkirsche light trinken?« Wegener zog seinen Ausweis wieder über die Tischplatte zurück und steckte ihn ein. »Erstens, weil Sie massive Figurprobleme haben, und zweitens, weil eine dieser Dosen gerade gefunden wird, Herr Günzow.«
»Was? Was wird gefunden?«
»Eine leere Dose Club-Cola Sauerkirsche light. Mit Ihren Fingerabdrücken drauf. Im Kino International.«
»Wieso?«
»Weil ich dafür gesorgt habe. Sie sollten vorsichtiger mit Ihrem Müll umgehen. Nicht einfach in den öffentlichen Eimer neben dem VIP-Car-Walk werfen. Vielleicht beschaffen Sie sich besser eine VIP-Garbage-Can.«
Schweißtropfen liefen über die feiste Günzowstirn in Richtung Nase. Der Uniformärmel wischte sie weg. »Mir reicht’s, was soll der Scheiß hier?«
»Der Scheiß hier kann für Sie richtig gut ausgehen«, sagte Wegener, »oder richtig schlecht. Ganz, wie Sie wollen.«
»Warum schlecht?« Günzow wurde laut. Rote Flecken auf seinen Hängebacken. »Was hab ich denn gemacht? Das ist doch total krank! Was wollen Sie überhaupt?«
Wegener lächelte. »Sie stehen im Verdacht, eine Bombe ins Kino International geschmuggelt zu haben. Und dabei ist leider Ihre Cola-Dose liegen geblieben. Ganz schön dämlich, aber ich glaube, man traut Ihnen das zu.«
Das Melonengesicht sah jetzt matschig aus. Die Augen rollten. Noch ein Schweißtropfen machte sich auf den Weg, und diesmal kam kein Ärmel, um ihn aufzuhalten, der Tropfen schaffte es über die rotgefleckte Backe bis unter Günzows Kinn und blieb hilflos hängen.
»Irgendwann kommt natürlich Ihre Unschuld raus, Sascha, keine Sorge. Aber im EastSide arbeiten Sie dann nicht mehr.«
»Was willst du von mir, du Arschloch?«
»Sie Arschloch heißt das. Ich will ein Telefonat.«
»Was für ein Telefonat?«
Wegener zog ein Blatt Papier aus der Innentasche, faltete es auseinander, legte es auf den Tisch. »Sie rufen diese Nummer hier an, von einem der Dienstapparate im Hotel. Sie geben sich nicht namentlich zu erkennen, Sie lesen nur den Text vor, der hier steht, Wort für Wort. Dann legen Sie auf, ohne eine Antwort abzuwarten.«
Günzow glotzte Wegener an, dann glotzte er das Blatt Papier an, zog es zu sich rüber, las halblaut und ungläubig vor: »Hören Sie gut zu. Was ich Ihnen jetzt sage, sage ich nur dieses eine Mal. Ich weiß, dass Sie Doktor Christian Kayser vom Bundesnachrichtendienst erschossen haben. Wenn Sie nicht wollen, dass ich zur Volkspolizei gehe und eine Aussage mache, kommen Sie morgen um 1 4 Uh r …« Günzow brach ab, starrte Wegener an, dann wieder das Blatt, las leise zu Ende, schwitzte wie ein Schwein, sein Kopf rackerte, ochste, pfiff aus dem letzten Loch,
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