Plan D
dem Volkspolizei -Aufnäher aus dem Kleiderschrank und zog sie an. Die Weste saß enger als sonst, alle acht Klettverschlüsse spannten über dem Bauch, die Nähte zwickten in den Hüftspeck, aber es geht gerade noch so, dachte Wegener, ich gehe gerade noch so. Dann griff er die lachsfarbene Deodorant-Spraydose vom Badezimmerschrank, warf sie in den Abfalleimer, lauschte dem hellen Klimpern nach. Und Action! , sagte sein kreuzunglückliches Spiegelgesicht, bevor es die Augen schloss.
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W egener schlug die Phobostür zu. Statt des satten Schmatzens der S-Klasse pfropfte nur das spärliche, dünne Geräusch, an das man sich jetzt wieder gewöhnen musste, der vertraute Charme der siegreichen volkseigenen Plasteproduktion zur Mobilisierung von Arbeitern, Bauern und Hauptmännern.
Die Puschkinallee war leer.
Ein Lada und ein Barkas parkten gegenüber, standen schon seit Tagen oder Wochen unter den alten Platanen, trugen dicke Mützen aus herabgefallenen Blättern. An den Straßenrändern türmte sich das nasse Laub zu bräunlichen, langsam schwarz werdenden Haufen. In den Löchern des ungepflasterten Fußwegs stand dreckiges Wasser. Eine blickdichte Wand aus Büschen schottete das weitläufige Gelände ab, auf dem das Spiel irgendwie zu Ende gehen würde, auf dem es irgendwie zu Ende gehen musste, denn die Kreisdrehung war fast geschlossen, nur noch ein paar Grad, dann standen die Zeichen wieder auf null. Dann konnte endlich alles von vorn losgehen.
Wegener lief über den aufgeweichten Weg in Richtung Haupteingang, wich Pfützen aus, stieg über abgebrochene Äste, versuchte Dreckspritzer an den Cordhosenbeinen zu vermeiden, sah sich um.
Niemand war hinter ihm.
Niemand war vor ihm.
Nach fünfhundert Metern zog sich die Buschwand ein Stück zurück und der Triumphbogen erschien, die rechte Hälfte unter dunkelgrünem Efeu verschwunden, die linke frisch gereinigt, kein Moos, keine Macken, nur die Überbleibsel einer Schmiererei, die so chemisch-penibel entfernt worden war, dass man immer noch jeden Buchstaben lesen konnte, hellgrau ins dunkelgrau geätzt: Vergast Gazprom .
Wegener ging durch den Bogen, verfiel automatisch in ein seltsam militärisches Schreiten und kam sich dabei vor wie der russische Verteidigungsminister, damals, auf dem Weg zu seinen alljährlichen Kranzniederlegungen, die eine ganze Martin-Wegener-Jugend lang über den Bildschirm geflimmert waren, in der Zeit der Supermächte, als sich ideologische Monolithen gegenübergestanden hatten und nicht ihre politischen Steinbrüche.
Mutter Heimat betrauerte immer noch den Vorplatz, hockte belämmert auf ihrem Sockel, ließ den schweren Kopf hängen, in dem 8 0 000 sowjetische Soldaten rumorten, totgeschossen beim Sturm auf Berlin, Helfer der einen Diktatur die andere abzulösen, ein Fußballstadion voller Betrogener, die niemand gern in seiner Birne hat, dachte Wegener, die keine Ruhe geben, weil sie selbst keine finden.
Nach Osten öffnete sich jetzt die Hauptachse des Ehrenmals, der breite Stalin-Boulevard, den man gemächlich entlangschreiten konnte, über viereckige Steinplatten, die aussahen, als würden sie jeden Morgen von tausend politischen Häftlingen mit elektrischen Zahnbürsten geschrubbt, kein Unkraut, kein Schmutz, keine Spur von Vandalismus. Rechts und links standen niedrig gehaltene Hängebirken auf gemähten Rasenstreifen und machten den leicht ansteigenden Boulevard zu einem sanften, gerahmten Schanzentisch, zu einer feierlichen Rampe, die den Blick bergauf lenkte: Zwischen den meterhohen, stilisierten Fahnen aus rotem Granit, die am Ende der beiden Birkenreihen als bewegungsloses Tor aufeinander zuwehten, wuchs die Befreierstatue in den Nebelhimmel, überragte die ganze Anlage, hatte trotz des diesigen Wetters alles und jeden im Blic k – der heroische Rotarmist, der das Hakenkreuz unter seinen Stiefeln zermalmt, das erforderliche Zukunftskind an die Kämpferbrust drückt, ein Langschwert kampfbereit in der Hand hält, voller Heldenmut, optimistisch, dass der Kommunismus auch heute noch ein Wiedergänger sei, ein Vampir, gegen den sämtliche Holzpflöcke machtlos bleiben, ein System, das vielleicht manchmal zusammenbricht, aber nur, um an anderer Stelle um so hartnäckiger aufzuerstehen.
Wegener zögerte an der Spitze der Rampe zwischen zwei knienden, bronzenen Soldaten mit bronzenen Maschinengewehren, stoppte, blickte über das menschenleere Gelände: Eine breite Treppenanlage führte zum Gräberfeld hinunter, der
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