Plan D
ängstliche Konfusion und nervöser Hass rauschten durch die speckigen Gehirnwindungen, spülten sie frei und lösten ein nervöses Zwinkern in der Gesichtsmelone aus, eine bibbernde Unterlippe, noch rötere Flecken, noch mehr triefende Nässe. Der Glubschaugenblick wuchs langsam vom Blatt in die Höhe, erfasste Wegener und knickte nach links ab, auf den EastSide-Tower, der sich gerade gemächlich zurück in die Aussicht schob: Das Plasma-Megaposter blies Kallweits bleiches Gesicht bis zum Platzen auf, eine fesselballongroße staatsmännische Ziege, die in Mikrofone sprach und mit den Hufen gestikulierte. Sahra Wagenknecht bei Bombenanschlag auf Kino International verletzt +++ Mindestens ein Todesopfer +++ Polizei: »Eindeutige Hinweise auf Täter gefunden« +++
»Warum ich?« Günzow hatte Tränen in den Augen.
»Vielleicht, weil Sie so ein fieser kleiner Fettsack waren, als ich neulich meinen Kollegen abholen wollte. Vielleicht aber auch nur, weil es durchaus Sinn macht, dass der Mörder des erschossenen BND-Mannes von einem Pagen beobachtet worden ist.«
Die Kellnerin stellte ein Glas Bier und ein Glas Cola auf den Tisch.
Wegener griff nach dem Bier, trank einen großen Schluck, wischte sich den Schaum aus dem Gesicht. »Also?«
Der Melonenkopf nickte.
»Wenn Sie das sauber hinkriegen, hören Sie nie wieder was von mir.«
Günzow nahm den Zettel, faltete ihn und steckte ihn in die Hosentasche. Dann trank er die Cola in einem Zug leer, unterdrückte halbherzig ein Rülpsen, stand auf und ging, ohne sich zu verabschieden.
Wegener sah aus dem Fenster. Du bist verloren, dachte er, du bist dem Untergang geweiht, Berlin, mein Sodom, mein Gomorrha, mein armes Schlaganfallopfer. Halbseitig gelähmt und somit beidseitig lebensunfähig. Bis in die letzte Nische unheilbar verfettet. Verbaut mit verschachtelten Lügengebäuden. Wie hat die Geschichte dich benutzt, wie haben die Herrschenden sämtlicher Epochen dich vergewaltigt. Einer nach dem anderen. Gewissenlose Schweine, natürlich nur Männer, die verdorbensten aller Lebewesen. Und noch immer stehen sie Schlange. Noch immer liegst du hilflos auf dem Rücken. Noch immer bist du reizvoll genug, um weiter gedemütigt zu werden.
Samstag, 29. Oktober 2011
37
J osef, Josef, sagte Wegener in den Spiegel, sah sein rundliches Gesicht, das lächelnd zu ihm sprach, die altbekannte Fluchtfrisur, die geschätzte Schnabelnase, wenn du früher in meinen Träumen aufgetaucht bist, Josef, dann warst du ein Geradebieger, ein Schutzpatron, ein Zirkusgewichtheber in rot-weiß-geringeltem Einteiler, ein Austeiler, ein Kraftstrotz, einer, der meine Ängste in Schach hielt, du der König, ich sein Bäuerchen. Aber heute Nacht warst du zum ersten Mal eine Zecke mit drei fetten, platten Beinschatten, eine Zecke, die sich ein allumfassendes Netz gehäkelt hatte und königlich in der Mitte thronte, streng genommen warst du also eine Mischung aus Spinne und Zecke, die sogenannte Specke, eine seltene Art, die ausschließlich in sozialistischen Mangelstaaten mit Phobosverkehr und notorischer Luftverfettung vorkommt, die nur dort ideale Lebensbedingungen findet, wo ordentlich geschmiert wird, damit die Dinge auch wie geschmiert laufen, wo niemand zu fassen ist, weil alle eine ölige Haut tragen, die sie geschmeidig und wendig und fischig macht, die sie vor Zugriff schützt, damit einem jeder jederzeit durch die Finger glitscht. In dieser Welt, Josef, bist du zu Hause, die gemeine Charakterspecke, ein Parasit, der Parasiten mag, ein Meister der Täuschung und Enttäuschung, ein ausdauernder Fadenverknüpfer, der sämtliche Fäden in sämtlichen Händen und Beinen hält. Und Charakterspecken werden alt, Josef, sie lernen täglich dazu, also macht jede Minute sie schlauer, je oller, je doller, auch ihr Sexualtrieb, heißt es, steigere sich bis zum Sanktnimmerleinstag, wachse immer weiter himmelwärts, eine Potenz in Potenz, die gemeine Specke ist also, nennen wir das Kind beim Namen, ein Lustgreis, ein verkommener.
Die Früchtlstimme schwieg in seinem Kopf.
Natürlich bist du weg, sagte Wegener, vielleicht wurdest du verschwunden, vielleicht bist du auch selbst abgehauen, keiner weiß es, nur das Resultat zählt, in der Kriminalistik wie in der Amouristik, der Schuldige entzieht sich der fälligen Strafe, schwupps, durch eine Falltür im Boden, ein bisschen Schwund ist immer, noch der Dickste macht sich dünne und wenn er auch verdorben ist, dann lebt er doch bis heute in haltbarster
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