Plan D
momentan aussieht, wohl für immer von diesem schrecklichen Tag gezeichnet bleiben wird, von einem dauerhaften Hinken war vorhin die Rede, und das bestürzt uns natürlich alle, denn wir kennen Sahra Wagenknecht ja als eine aparte, als eine attraktive junge Frau, als »die einzige Bombe, auf die unser Land nicht verzichten möchte«, wie es Gregor Gysi einmal scherzhaft ausgedrückt hat, die Fans jedoch, die Anhänger von Sahra Wagenknecht, die sind noch gestern Abend hier zur Charité gekommen, haben Mahnwachen abgehalten, haben aus Kerzen und Teelichtern ein Maschinengewehr geformt, in Erinnerung an die Rolle der Laura Kraft, die Wagenknecht im Film spielt, und eine dieser jungen Frauen sagte mir vorhin unter Tränen, auch wenn Sahra Wagerecht, wie sie von den Fans genannt wird, wenn diese Sahra Wagerecht also ein Leben lang humpeln müsse, täte das der Liebe ihrer Anhänger keinen Abbruch, und ohnehin sei sie dadurch höchstens ihrem Idol Rosa Luxemburg nähergekommen, die ja bekanntlich auch gehumpelt habe, wir erleben hier also nicht nur bittere Stunden, sondern auch schöne Beispiele aufrichtiger sozialistischer Solidaritä t …
Wegener zog die Kopfhörer aus den Ohren und schaltete die Radiofunktion aus. Er setzte sich auf einen der Eisenpoller, die den Rundweg um das Denkmal mit schweren Ketten sicherten, und wartete.
Der Nebel war stärker geworden.
39
A ls hundertfünfzig Meter entfernt eine Bewegung in der milchigen Luftsuppe auftauchte, Schritt für Schritt Kontur gewann, irgendwann Gestalt annahm, zog Wegener sich hinter die Rundung des Sockelzylinders zurück, schwitzte, atmete schneller, legte eine Wange an den kalten Sandstein. Mintfarbene Fließspuren hatten sich in die breiten Blöcke gefressen, Grünspanwasser, das schon seit sechzig Jahren am Bronzekörper des Befreiers herablief und Wegener einen unangenehmen, metallischen Geschmack auf die Zunge zauberte.
13:5 4 Uhr.
Ein Mann mit dunklem Hut, dunklem Mantel, dunkler Hose war zwischen den beiden Granitfahnen aufgetaucht, genau an der Stelle, an der Wegener vor einer halben Stunde selbst gestanden hatte, betrachtete in aller Ruhe das Gräberfeld, hatte die Hände in den Manteltaschen, stieg irgendwann die Treppe hinunter, nahm den linken Mosaikweg und kam näher. Ein zweiter schwarzer Kämpfer, einer ohne Kind, ohne Schwert, ohne lädiertes Hakenkreuz, aber dafür mit einer vollautomatischen Handfeuerwaffe, geladen, entsichert und gebraucht.
Wegener knöpfte seinen Mantel auf, überprüfte die schusssichere Weste, knöpfte den Mantel wieder zu, lief in Gedanken den Mosaikweg mit, an Rasenquadraten, Zierhecken, Sarkophagen vorbei, erreichte die Treppe und hatte gut geschätzt: Schon klackten Schritte auf den Stufen, wurden mit jeder Sekunde lauter, Ledersohlen, die es nicht eilig hatten, die sich gelassen an den unvermeidlichen Aufstieg machten, entschlossen und beherrscht, rhythmisch und taktvoll, immer auf den nächsten Schritt konzentriert, bis nach oben. Der Gang eines Mannes, der einen Plan hat.
Für zehn Sekunden war nichts zu hören.
Dann setzten die Schritte wieder ein, kamen ihm links um die Sockelrundung entgegen, und Wegener musste an Karolina denken, die er nie wiedersehen würde, um sie mit bloßen Händen zu erwürgen, wenn er sich jetzt verkalkuliert hatte, so wie Hoffmann sich verkalkuliert hatte, so wie Christian Kayser und Ronny Gruber und Gabriel Opitz sich verkalkuliert hatten, im bedingungslosen Glauben daran, dass Entschlossenheit und Schlauheit zu Erfolg wurden, wenn man sie verheiratete, er sah Karolina am Wegener’schen Familiengrab, in das man ihn gerade an einem ruckelnden Seil hinabließ, vielleicht heulte sie sogar ein paar pflichtbewusste Tränen, aus Mitleid oder Sentimentalität bei der Erinnerung an ein vergangenes Leben, und kaum stieß die Kiste unten auf, wandte Karolina sich ab, das war zu erwarten gewesen, während Wegener schon die Erde hörte, die schaufelweise von oben auf den Pressspan-Sargdeckel prasselte wie besonders grobkörniger Hagel.
Als die Mündung der Pistole auftauchte, wusste er schon Bescheid, hatte die Antwort längst gerochen und schlagartig begriffen, was ihm vom ersten Moment an hätte klar sein müssen, so betörend, dunkelsüß, aufdringlich, charmant, so heftig und einlullend duftete kein Verlierer, so duftete der Sieger, der seinen eigenen Duft nur in dem Wissen ertrug, dass er ihn verdiente, weil dieser Duft seinen Sieg schon verkündet hatte, lange bevor der Kampf
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