Plan D
unentschlossene Nebel hing auch über den tennisplatzgroßen Rasenquadraten mit ihren niedrigen Zierheckenumrandungen und den hellen, steinernen Sarkophagen, die das Areal an beiden Seiten flankierten.
13:2 4 Uhr.
Geh schon, dachte Wegener, du zwingst dich ja doch. Du musst ja von dir gezwungen werden. So hast du es gelernt.
Er knöpfte den obersten Mantelknopf zu, schlenderte die nasse Treppe hinunter, Stufe um Stufe, wählte den Weg rechts von der Rasenmitte und ging langsam auf den Befreier zu, über dunkle Mosaiksteine, in die ein Kranz aus hellen Mosaiksteinen eingelassen war, vorbei an den Sarkophagreihen, an kyrillischen Inschriften, bildlichen Kampfdarstellungen und Todesvariationen, an geklonten Rotarmisten, die in unendlicher Phalanx Richtung Westen marschierten, passierte eingemeißelte Stalinzitate, Hämmer und Sicheln, während der Befreier immer größer wurde, immer entschlossener wirkte, ein grimmiger Koloss auf seinem Kurgan, ein schwarzer Ritter, der den Berliner Nazis ihren Traum vom tausendjährigen Reich mit bolschewistischer Bronzefaust zerquetscht hatte.
Die Treppe des Grabhügels hatte neununddreißig Stufen, Wegener zählte sie im Aufsteigen mit, drehte sich oben um, betrachtete das Gelände von der anderen Seite, aus der Befreierperspektive. Wer die Anlage betrat, musste durch das Triumphbogentor und genau den Weg nehmen, den er gerade gegangen war, über den Vorplatz, über die Schanze, durch die gemauerten Fahnen die Treppe hinunter auf den Präsentierteller, der Befreier und ich werden dich Minuten vor deiner Ankunft sehen, dachte Wegener, wir zwei Helden warten in aller Ruhe hier oben auf unserem Berg.
Er lehnte sich an den hellen Sandsteinsockel, holte sein Minsk aus der Jackentasche, steckte sich die Kopfhörer in die Ohren und stellte auf Radiofunktion.
11:3 0 Uhr.
… die Volkspolizeidirektion Berlin heute Morgen eine Pressekonferenz, in deren Rahmen weitere Einzelheiten über den gestrigen Anschlag auf das Kino International bekannt gegeben wurden. Danach handelt es sich bei dem Todesopfer um einen der Attentäter, dessen Identität nach Auskunft der Behörden bislang nicht geklärt ist. Noch in der Nacht hatten Vertreter des Kommissariat s 5 offenbar eine erste Autopsie der Leiche angeordnet, die den Mann anhand seiner Schuhe und einer somit möglichen DNA-Analyse auch als mutmaßlichen Täter in einem Mordfall identifizierte, zu dem bislang ebenfalls keine weiteren Angaben gemacht wurden. Rainer Kallweit, stellvertretender Polizeipräsident von Berlin, bewertete dieses Ergebnis als neuerlichen Beleg für die verfassungsfeindliche und gewissenlose Haltung der Untergrundgruppierung, die für die Berliner Bombenattentate verantwortlich zeichnet. Kallweit betonte, dass die Behörden bereits seit mehreren Tagen mit Hochdruck ermitteln, wollte sich aber zu den Inhalten eines gefundenen Bekennerschreibens aus untersuchungstaktischen Gründen vorerst nicht weiter äußern. Währenddessen gehen die Verschärfungen der Sicherheitsvorkehrungen vor Regierungseinrichtungen und im Innenstadtbereich weiter, dazu im Verlauf der Sendung mehr, doch jetzt schalten wir erst mal zu meinem Kollegen Michael Lünstroth, der für uns vor der Charité wartet und weiß, wie es den siebzehn Verletzten geht. Michael?
Ja, Bärbel, um es gleich vorweg zu sagen, von den betroffenen Personen schwebt keine in Lebensgefahr, also Entwarnung, die meisten haben vor allem Rauchvergiftungen erlitten, schwerere Verletzungen gab es offenbar kaum, was wohl dem glücklichen Umstand zuzuschreiben ist, dass der Sprengsatz besonders die Bühne des Kinos in Mitleidenschaft gezogen hat und nicht den Saal selbst. Die Aufführung des Films Red Revenge zu verhindern, darum ging es den perfiden Bombenlegern nach Ansicht der Behörden, ein symbolischer Akt also, wenn man so will, wie schon bei dem schrecklichen Anschlag auf den Palast der Republik, den wir vor einer Woche erleben mussten. Nichtsdestotrotz waren auch hier wieder Menschenleben in Gefahr, wurde der Tod Unschuldiger billigend in Kauf genommen, um, wie allgemein vermutet wird, eine antisozialistische Haltung zu artikulieren, ohne Argumente, dafür mit roher, rücksichtsloser Gewalt. Zu den wenigen Opfern, die schwerer betroffen sind, gehört, das wissen wir seit gestern Abend, ausgerechnet Sahra Wagenknecht, die frühere SED-Abgeordnete und Hauptdarstellerin aus Red Revenge , die nach Auskunft der Charité eine Verletzung am rechten Bein davontrug und so, wie es
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