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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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den ganzen Sondergenehmigungen nicht durch die Kontrolle müsste.«
    Franjo Fuchs, dachte Wegener, es gibt ihn auch auf der anderen Seite. Und der Sokochef ist das Loch im Maschendraht.
    »Dann wurde ich zweimal kontrolliert.« Brendel wechselte Jackett und Aktenkoffer zum anderen Arm. »Die einen wollen unbedingt rein, die anderen wollen raus. Ein typisch deutsch-deutscher Zustand. Viel komplizierter, als es sein müsste.«
    »Aber diejenigen, die reinwollen, werden angeblich immer mehr.«
    »Zur Zeit ja. Es gibt bei uns ne Menge Hartz-IV-Empfänger, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als von heute auf morgen Mitbesitzer eines ganzen Landes zu sein. Und es gibt die neuen Antikapitalisten, die Hautausschlag kriegen, wenn sie das Wort Rettungsschirm hören.«
    »Diese Entwicklung hat für Insassen wie mich natürlich eine zynische Dimension, das verstehen Sie ja sicher.«
    Brendel nickte. »Ihnen muss das vollkommen absurd erscheinen.«
    »Vollkommen absurd trifft es.« Wegener zog sein Minsk aus der Tasche. Kein Empfang. »Hätte sich die alte Tante DDR nicht träumen lassen, dass ihr der Westen noch mal die Bude einrennt.«
    »Die DDR kann sich bei den amerikanischen Banken bedanken. Lafontaine übrigens auch. Ohne die Hypothekenkrise stünde Roland Koch noch in der Bonner Küche. Und jetzt hat plötzlich der Sozialismus Konjunktur.«
    »Wissen Sie, was das Erstaunliche am Sozialismus ist? Der hat immer dort Konjunktur, wo er nicht praktiziert wird.«
    Brendel lächelte ein sarkastisches Lächeln. »Und Sie wissen, was das bedeutet.«
    »Natürlich, das bedeutet Unsterblichkeit. Die Herren Marx und Engels werden nie untergehen, aber auch nie Erfolg haben. Der Kommunismus ist ein halbharter Schwanz, hat mein alter Chef immer gesagt: Er macht nicht schlapp und er spritzt nicht ab. Auch ein bitteres Los.«
    »Und Ihr bitteres Los?« Brendels Blauaugen betrachteten Wegener neugierig.
    »Mein bitteres Los ist das bittere Los aller Ostdeutschen. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Und jetzt ist man lebenslang Versuchskaninchen in der empirischen Nivellierungs-Forschungsgruppe DDR. Mit Klopapier, das man auch zum Möbelabschleifen nehmen kann, und mit dem völligen Verzicht auf jede Form von Wahrheit. Ich finde immer noch, es sagt am meisten über den Sozialismus aus, dass der sich so schlecht mit der Wahrheit verträgt.«
    »Mit keiner Form von Wahrheit würde aber bedeuten, dass man hier als Polizist gar nicht arbeiten kann«, sagte Brendel. Er hielt plötzlich an, ging ein paar Schritte in den Wald, stellte den Aktenkoffer ab, legte das Jackett darüber. Dann kniete er im Farn. Das hellblaue Hemd spannte über dem breiten Rücken. Ein kleines Taschenmesser blitzte. Brendel beugte sich vor. Brendel säbelte. Brendel stand wieder auf, griff seinen Koffer, kam zurück, in der rechten Hand einen ausgewachsenen Steinpilz. Der braune Hut leicht fleckig, darunter der olivfarbene Schwamm und ein weißer, keulenförmiger Fuß, an dem noch Erde, Tannennadeln und Moosreste hingen.
    »Es ist schon möglich, hier als Polizist zu arbeiten«, sagte Wegener. »Wenn man mit den Bedingungen leben kann.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ist der Steinpilz madig?«
    Brendel betrachtete seinen Fund kritisch. »Dazu müsste man ihn durchschneiden. Der Fuß sieht gut aus. Ich würde sagen: nein.«
    »Aber Sie wissen es nicht. Genau wie bei den Menschen in diesem Land. Madig oder nicht madig? Manchmal kommt einer unbestechlich rüber, und dann hören Sie um zwei Ecken, der ist Informant. Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht. Vielleicht hat jemand Gerüchte über ihn in die Welt gesetzt. Andererseits können Gerüchte auch zutreffen, selbst wenn sie jemand absichtlich erfunden hat. Und so weiter. Sie werden sich nie ganz sicher sein. Es gibt keine verlässlichen Indizien. Sie können nur raten. Und wenn Sie beschließen, jemandem zu vertrauen, reicht eine Kleinigkeit, um wieder zu zweifeln. Ein unüberlegter Satz. Ein Witz. Ein Wort. Manchmal auch kein Wort. Kein Witz. Sie werden zur Misstrauensmaschine.«
    »Was man als Ermittler ohnehin sein muss.«
    Wegener nahm Brendel den Steinpilz aus der Hand und betrachtete ihn. Festes Fleisch. Der Schwamm hatte nur zwei kleine Schneckenlöcher. Der Hut war unversehrt. »Aber Sie können Ihr Misstrauen im Verhörraum lassen. Bei Ihnen ist damit Schluss, wenn Sie nach Hause gehen. Hier ist das ganze Leben eine einzige Ermittlung, vierundzwanzig Stunden am Tag. Hier verdächtigt man alle.

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