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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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Immer.«
    »Sie halten die BRD für ein Land, in dem es nur ehrliche Menschen gibt?«
    »Ich halte die DDR für ein Land, in dem es keine ehrlichen Menschen gibt.«
    »Keinen einzigen? Das können Sie mir nicht erzählen. Was ist mit Ihnen?«
    Wegener lächelte. »Ich bin ein Mann. Männer sind immer unehrlich.«
    Brendel musste lachen. »So hab ich das noch nicht gesehen. Aber vermutlich stimmt es. Und ehrliche Frauen gibt es auch nicht?«
    »Doch, eine.«
    »Dann haben Sie eben gelogen.«
    »Sag ich doch.«
    Brendel nahm den Pilz zurück, wischte Erde und Moos vom Fuß und schob ihn in die Tasche des Jacketts.
    Jetzt gingen sie wieder nebeneinander über das Nadelpolster. Der Pilzhut ragte aus der Jackett-Tasche wie ein großes samtiges Brötchen. Ein unsichtbarer Vogel krächzte seinen immergleichen Schrei aus den dunklen Wipfeln, zweimal kurz, einmal lang: Ak-Ak-Aaaaak.
    Der Weg machte einen scharfen Linksknick. Richtig, dachte Wegener, die Röhren sind ja nicht eingezeichnet.
    Brendel blieb stehen.
    Fünfzig Meter vor ihnen zog sich der lang gestreckte Wulst einer Pipeline durch den Wald. Der nördlichste Finger der Potsdamer Hand, nicht ganz so dick wie die Magistrale, aber immer noch beeindruckend. Die hageren, kahlen Kiefernstämme wurden zur Zahnstocherzucht, durch die man einen Lindwurm gefädelt hatte, hochgebockt auf A-förmigen Betonpfeilern, eine abstrakte russisch-ostdeutsche Installation, beschallt von einem einsamen Lautsprecher: Ak-Ak-Aaaaak.
    »Ich hab vor meiner Einreise Ihre Personalakte angefordert«, sagte Brendel und ging langsam weiter. »Ich musste entscheiden, mit wem ich vor Ort zusammenarbeite. Sie waren von Anfang an dem Fall dran, das passte schon mal gut.«
    »Und außerdem gab es noch dieses hübsche Disziplinarverfahren.« Wegener wich einer großen Wurzel aus. »Qualifikation Querulantentum.«
    »Das soll keineswegs Ihre Kompetenz in Frage stellen«, sagte Brendel. »Es kam alles zusammen. Ein erfahrener Beamter, der erste am Tatort, kein Genosse. Mit einem Genossen im Gepäck wäre es schwierig geworden.«
    »Das könnte sein.«
    »Kriegen Sie die Sache von damals noch zu spüren?«
    »Bei uns im Haus kriegt man das nicht so zu spüren, wann man was zu spüren kriegt. War ne Weile Ruhe. Vorgestern hat Steinkühler es erwähnt, damit ich verstehe, warum ich für Sie der Auserwählte bin.«
    Brendel nickte. »Das klingt jetzt vielleicht pathetisch. Aber ich bewundere durchaus, was Sie gemacht haben.«
    »Sie haben Recht, es klingt pathetisch.«
    »Dass man sich in einem Land wie der DDR gegen die Autoritäten stellt, ist nicht selbstverständlich.«
    Wegener zuckte mit den Schultern. »Es ging mir auch nicht darum, mich gegen die Autoritäten zu stellen. Die Zeiten, in denen hier Leute versucht haben, den Helden zu spielen, sind lange vorbei.«
    »Helden gibt es also auch nicht.«
    »Helden müssen wir importieren. Merken Sie doch.«
    Brendels freier Arm machte eine undefinierbare Bewegung. »Worum ging es Ihnen dann?«
    »Sagen wir mal, es ging um die Wahrheit.« Wegener sah Brendel an. Leicht verschwitzte Stirn, freundlicher Blick aus blauen Augen, der anerkennende Gesichtsausdruck eines Mannes, der immer noch daran glaubte, dass ein böser Staat zwangsläufig gute Menschen hervorbringen müsse. Vor ihnen überquerte die Pipeline auf zwei Pfeilern den Waldweg wie ein futuristisches Tor zu einer anderen Welt. Neuere Blechelemente glänzten silbrig neben der alten Verschalung. Am rechten Pfeiler führte eine Metallleiter hinauf, oben Stacheldraht und Gitter mit Zackenkronen, dahinter schwere Drehverschlüsse, gesichert mit stählernen Krallen.
    »Ich habe nach einem Freund gesucht«, sagte Wegener. »Er war mein Ausbilder, lange vor der Wiederbelebung. Falls ich irgendetwas kann, habe ich es von ihm gelernt.«
    Brendel ließ sich nichts anmerken.
    Das Pipelinetor war jetzt über ihnen. An der Unterseite der Leitung saß eine Horde rostiger Schrauben, die sich gleichmäßig über die dunkle Rundung verteilte. Jetzt trat Brendel in den Schatten der Röhre.
    »Ihr Freund ist immer noch verschwunden?«
    »Ja.«
    »Wie heißt er?«
    »Josef Früchtl. Major a . D.«
    An dieses a . D. werde ich mich nie gewöhnen, sagte Früchtl, das klingt wie alter Depp oder altersschwacher Dandy oder ausdemverkehrgezogener Detektiv.
    »Was glauben Sie, was passiert ist?«
    Wegener zögerte einen Moment. Brendels Gesicht war im Schatten schwer zu erkennen. »Josef hat nach seiner Pensionierung als

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