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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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privater Ermittler gearbeitet. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ihm ein Job angeboten. Eine Recherche. Was Politisches. Von wem in Auftrag gegeben, worum es ging, hat er nicht erzählt.« Wegener trat als Erster aus dem Schatten. »Es klang ziemlich brisant. Aber Josef war nicht der Typ, der vor irgendwas oder irgendwem Angst hatte.«
    Das klingt schon besser, sagte Früchtl, angstbefreiter Draufgänger.
    Jetzt sage ich schon war und hatte, dachte Wegener, jetzt rede ich schon von dem Alten, als läge er irgendwo in diesem Wald, metertief verscharrt und damit für immer unauffindbar.
    »Und dann war er plötzlich verschwunden?«
    »Von einem Tag auf den anderen. Spurlos. Keiner wusste was, keiner kannte den Vorgang, keiner hatte irgendwas gehört oder gesehen. Also bin ich unter einem Vorwand in die Normannenstraße marschiert und hab mich abends im Gebäude einschließen lassen.«
    Brendels Gesicht klemmte zwischen Entsetzen und Bewunderung fest. »Sie haben sich selbst bei der Stasi eingesperrt?«
    »Ich hab die Nacht im Keller verbracht und das Archiv gesucht. Als ich es hatte, kam ich nicht rein. Also in irgendwelchen Büros irgendwelche Aktenschränke durchwühlt. Hinterher stellte sich raus, das waren die Unterlagen vom Fahrdienst. Sind ein paar schöne Aufnahmen entstanden: Hauptmann Wegener, wie er ängstlich in die Überwachungskamera mit Nachtsichtfunktion starrt. Die hatten mich schon identifiziert, bevor sie ankamen.«
    »Und das war’s dann.«
    »Disziplinarverfahren, Abmahnung, Androhung der fristlosen Suspendierung mit unanfechtbarem Verlust der Pensionsansprüche im Wiederholungsfall. Aber es hätte noch schlimmer kommen können.«
    »Sie suchen nach der Wahrheit, sogar unter größtem persönlichem Risiko. Und trotzdem behaupten Sie, dass es in der DDR keine Wahrheit gibt?«
    »Wenn ich sage, dass sich der Sozialismus schlecht mit der Wahrheit verträgt, dann meine ich die öffentliche Wahrheit. Die faktische Wahrheit existiert natürlich trotzdem.«
    Wegener trat auf einen dicken Tannenzapfen, der sich schmerzhaft durch die Schuhsohle drückte. »Das Ding ist: Selbst wenn ich bei meiner dümmlichen Aktion irgendwas gefunden hätt e – bei uns kann man nicht zum SPIEGEL rennen und einen Skandal lostreten. Man kann keine Beschwerde an irgendeine interne Abteilung schreiben, die dann den Laden ausfegt. Der Laden wird niemals ausgefegt. Der Dreck liegt meterhoch. Die Wahrheit im Sozialismus ist die Wahrheit, die Sie für sich behalten müssen.«
    »Eine wirkungslose Wahrheit.«
    »So wirkungslos wie der Sozialismus.«
    Ak-Ak-Aaaak, schrie es durch die Tannen, dann flatterte etwas davon.
    Stumm stapften sie über den immer sandiger werdenden Boden. Die Pipeline war jetzt ein ständiger Begleiter, blieb in der Nähe, knickte kurz ab, kehrte sofort zum Waldweg zurück, ein treuer Gas-Lindwurm, der nach Hunderten Kilometern sibirischer Ödnis nicht mehr allein sein wollte. Wegener fragte sich, ob es ein dummer Zufall war, dass Hoffmanns Hütte in der Nähe der Pipeline lag, an der man ihn schließlich aufgehängt hatte. Laut Frankenstein befand sich die Datsche seit mehr als zwanzig Jahren in seinem Besitz. Die große Welle im Pipelinebau hatte schon vor rund fünfzehn Jahren begonnen. Wahrscheinlich war also nicht Hoffmann zur Pipeline gekommen, sondern die Pipeline zu Hoffmann.
    Wir sind eine Woche zu spät, dachte Wegener, das alte Raum-Zeit-Dilemma der Kriminalisten. Ständig hat man hundert Fragen an Leute, die nicht mehr antworten können. Vorher lebt man mit diesen Leuten dreißig, vierzig, fünfzig Jahre in einem Land, in derselben Stadt, sitzt neben ihnen in der U-Bahn oder in der Eckkneipe, trifft sie an der Kinokasse und auf dem Bahnhofsklo, alles, ohne sie zu kennen, ohne zu ahnen, dass man irgendwann einmal Wochen und Monate damit beschäftigt sein würde, das Leben dieses Biertrinkers am Kiosk, dieser Zeitungsleserin auf der Parkbank, dieser Rumänenhure am Straßenrand zu rekonstruieren, nachdem man doch zuvor alle Zeit der Welt gehabt hätte, ihnen am Kiosk oder auf der Parkbank oder am Straßenrand jede beliebige Frage zu stellen, ihre Mordmotive, ihre Ermordetwerdenmotive herauszufinden, auf Band aufzunehmen, abzutippen, den ganzen Papierkram von Opfern und Tätern unterschreiben zu lassen und als einen aufs Gründlichste gelösten Fall in den Aktenordner mit der Aufschrift aufgeklärte zukünftige Verbrechen einzusortieren.
    Sein Minsk war immer noch auf Netzsuche. Am Vormittag kein

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