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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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Brendel starrte auf das Display. Offenbar ließ ihn das Klopapierthema nicht los. Die Eieruhr drehte sich. »Muss ja nicht gleich vierlagig sein. Aber Holz?«
    »Alte Zeitungen«, sagte Wegener, trank den Kaffee mit einem großen Schluck aus und gab Brendel die Verschlusskappe zurück. »Alles alte Zeitungen. Die DDR putzt sich den Hintern mit der Propaganda von vorgestern ab. Sie sehen, das Politbüro ist vollkommen ironiebefreit.«
    »Das Politbüro hat vermutlich auch richtiges Klopapier.«
    »Sind ja professionelle Arschlöcher.«
    Im Display blinkte ein Ausrufezeichen: Es steht keine alternative Route zur Verfügung.
    »3, 4 Kilometer zu Fuß«, sagte Brendel und stieg aus. Er nahm seinen Aktenkoffer von der Rückbank, wartete, bis Wegener aus dem Wagen geklettert war, drückte auf den Funkschlüssel. Die Warnblinklichter leuchteten, vier Türknöpfe verschwanden geräuschlos in der ledernen Versenkung.
    »Wenn hier ein Wanderer vorbeikommt und den Wagen sieht«, sagte Wegener, »der denkt doch, er hat zu lang geschlafen und die Wiedervereinigung verpasst.«
    Brendel grinste. »Wären Sie für die Wiedervereinigung?«
    »Schon. Aber die Ostdeutschen würden weitermotzen, auch im Wohlstand. Glauben Sie mir.«
    »Weil sie in Wahrheit doch nicht wollen, dass die Mauer fällt? Oder weil es ihnen nicht schnell genug ginge?«
    »Weil sie das Motzen seit 6 0 Jahren professionalisiert haben. Da kann man nicht einfach aufhören. Wir sind Motzweltmeister.«
    »Dann lassen wir das mit der Vereinigung vielleicht lieber.«
    »Dann motzen wir darüber, dass Sie das lassen.«
    Wegener bückte sich unter der Schranke durch. Brendel flankte drüber. Das Jackett hing über dem Arm, mit dem er den Aktenkoffer trug. Die Hemdsärmel hochgekrempelt, die drei obersten Knöpfe offen. Heute keine Krawatte. Auguststimmung im Oktober.
    Brendel lächelte ein Losgehtslächeln, dann liefen sie nebeneinander über weichen Tannennadelteppich. Der Weg lag tiefer als der Wald, ein gewundener Schützengraben, in dem man mit einer ganzen Volksarmeekompanie auf die Truppen der Bundeswehr lauern konnte, wenn es doch mal zum Bruderkrieg kam. Farne wucherten an den schattigen Böschungsrändern, schillernde Käfer kämpften sich durch Gebirgsketten, die einmal von Traktorrädern in die Erde gepresst worden waren. Keine Sonne am schmalen, blassblauen Himmelsausschnitt.
    Ich werde noch zum Wanderer, dachte Wegener und sah wieder das Stück Landkarte auf Brendels Laptop vor sich: ein Pfeil, der den Standort der Datsche markierte, ringsum grüne Waldflächen mit kleinen schwarzen Tannen-Symbolen, gelbe Ackerlandquadrate, dann die fette, schraffierte Linie, die den Sozialimus vom Imperialismus trennte und die Wegener an den Schnitt in Hoffmanns blassem Brustkorb erinnert hatte. Nicht mehr als vierzig Kilometer bis zur Grenze, das war allen klar gewesen, die diese Karte sahen, Brendel, Kayser, Frankenstein, ihm selbst. Mit ein bisschen Anstrengung innerhalb einer Nacht zu schaffen.
    Wegener dachte an den Bilderbuchhelden Franjo Fuchs , der ein Loch in der Maschendrahtausgabe des Antikapitalistischen Schutzwalls gefunden hatte, als der noch Antifaschistischer Schutzwall hieß. Franjo war durch dieses Loch gekrochen, das fröhliche Liedchen Im Westen werd ich mich mästen auf den schwarzen Fuchslippen, das man als kindlicher Leser dank abgedruckter Noten mitträllern konnte, nur um dann im bundesrepublikanischen Naturzustand lauter deprimierende Erfahrungen zu machen, mit geizigen, imperialistischen Artgenossen, die ihre gerissenen Gänse nicht teilten, mit Hühnern, die sich vor lauter Ausgebeutetwerden von ihren Stangen stürzten, und mit dem Jäger Jasper, der Franjos Pelz für die Gattin des CDU-Kreisvorsitzenden Kriegbaum zum Mantelkragen umarbeiten wollte. Abgemagert, aber schlau geworden, hatte Franjo sich nach einer Woche der bitteren Wahrheiten auf den Heimweg ins Paradies gemacht, Am besten nie in den Westen singend, zur gleichen Melodie, zu der vorher noch seine Hymne der Verblendung erklungen war.
    »Wenn ich jetzt einen Rucksack dabei hätte«, sagte Wegener, »und wenn ich Sie bitten würde, mich hier im Wald zu vergesse n …«
    Brendel sah im Gehen vor seine Füße. Der Aktenkoffer schlenkerte. Ein eleganter Geschäftsmann mitten in der ostdeutschen Provinz, dachte Wegener, die Frage ist nur, was er verkauft.
    »In Westberlin bin ich gefragt worden, ob ich wen mitnehmen könnte in den Osten«, sagte Brendel. »Im Kofferraum. Weil ich doch mit

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