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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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jetzt auf dem Boulevard der Wrackstadt. Zu beiden Seiten gingen alle fünfzig Meter gewundene, von haushohen Schrottblöcken verschachtelte Nebenstraßen ab, schlängelten sich in die Tiefe und ergaben Block für Block die verwitterte Kolonie Sachsenring, errichtet aus der Automobilproduktion von Dekaden, unter Dreck und Rost die Reste der ausgeblichenen Pastell-Lackierungen, die ein halbes Jahrhundert lang das Bild des Ostens geprägt hatten: babyblau, lindgrün, sandgelb, ocker.
    »Kannten Sie das?« Kayser staunte abwechselnd aus beiden Seitenfenstern.
    »Nie gesehen«, sagte Wegener, »nie von gehört.«
    Kayser drehte sich nach hinten und beobachtete durch die Heckscheibe, wie das Gittertor immer kleiner wurde, drehte sich wieder um, sah die schnurgrade Hauptstraße hinunter und schüttelte fassungslos den Kopf. »Da sind sie. Aber wirklich alle.«
    »Herr Hauptmann«, sagte Voss ungerührt, »das nimmt kein Ende hier.«
    »Das nimmt ein Ende«, sagte Wegener, »irgendwann nimmt alles ein Ende, Voss, darauf verwette ich des Kaysers neue Kleider, die mich demnächst von der Bread & Butter erreichen.«
    »Jawoll, Herr Hauptmann.«
    Kayser staunte immer noch.
    Nach einem Kilometer ließ sich erahnen, dass Wegener Recht gehabt hatte, nach weiteren 50 0 Metern endete der Boulevard in einem enormen Platz, umrahmt von schiefen Rostlaubenwänden. In der Mitte standen zwei Schrottpressenungetüme, die anscheinend schon am ersten Tag kaputt gegangen waren: Einzelne Trabantwürfel lagen herum, als hätte jemand an den Maschinen geübt und gleich wieder aufgegeben. Vielleicht wusste auch einfach niemand, wie man die Dinger richtig bedient, dachte Wegener, vom Russen gekauft und gleich in Rente geschickt. Jetzt wuchsen junge Birken zwischen den Würfeln und machten das Rondell zu einem seltsamen Mausoleum für längst vergangene Kindheiten auf längst vergangenen Rückbänken.
    Voss stoppte den Volvo unschlüssig in der Mitte des Platzes. Alle drei stiegen aus, sahen sich um, ließen die bizarre Kulisse auf sich wirken. Kayser machte Handyfotos. Acht, neun Meter haben sie bestimmt, dachte Wegener, die Karosseriemauern, wenn nicht noch mehr. Er zog sein Minsk aus der Tasche, klickte sich ins Transnetz, wählte die Standortbestimmungsfunktion und beobachtete, wie sich das Satellitenfoto nach und nach aufbaute: Dunkle Rechtecke erschienen, getrennt von hellen Linien, in der Mitte ein kleiner Kreis, der den Punkt markierte, an dem sie zu dritt standen. Drumherum das chaotische Geflecht unzähliger Wege, Querverbindungen, Sackgassen. Ein Rom aus Schrott, von weit oben aufgenommen und trotzdem kein bisschen übersichtlicher.
    Ich sollte Karolina hierher bringen, dachte Wegener, ihr dieses Mahnmal der Vergänglichkeit zeigen, damit ihr die toten Trabbis erzählen, wie wenig Zeit uns bleibt, wie schnell das tägliche Jetztleben zum grausamen Gestern wird, während wir uns längst im freien Fall befinden, der Boden schon in Sichtweite, und wir verschließen die Augen vor diesem Sturz.
    Ein schriller Ton ließ die Stille platzen.
    Voss zuckte zusammen und bewegte sich wie ein panischer Robotronroboter, der zeitgleich mehrere, widersprüchliche Befehle erhält.
    Kayser stand still, schützte die Augen mit beiden Händen vor der Sonne und hielt Ausschau.
    Rückkopplung, dachte Wegener und drehte sich suchend um die eigene Achse, das gleiche Geräusch wie im Weltsaal, nur sehr viel lauter.
    Das schmerzhafte Fiepen hörte so plötzlich auf, wie es gekommen war.
    »Herr Wegener«, sagte eine metallische Stimme über Lautsprecher, »danke, dass Sie gekommen sind. Das gilt auch für Ihre Begleiter.«
    Wegener sah Kayser an. Der nickte in Richtung rechte Schrottpresse.
    »Wo sind Sie?«, rief Wegener.
    »Einstweilen im Hintergrund«, sagte die Lautsprecherstimme. »Ich wollte gern persönlich mit Ihnen reden, habe aber momentan nicht die Absicht, mich zu zeigen. Deshalb die etwas ungewöhnliche Gesprächssituation. Das bitte ich zu entschuldigen. Dafür bin ich gut zu verstehen.«
    »Warum verstecken Sie sich?«
    »Sie müssen nicht schreien, ich habe ein Richtmikrofon installiert.«
    »Also, warum verstecken Sie sich?«
    »Es garantiert beiderseitige Unabhängigkeit. Ich werde mir erlauben, einige Bedingungen zu stellen. Erfüllen Sie diese Bedingungen, kooperiere ich mit Ihnen, erfüllen Sie sie nicht, werde ich mich verabschieden.«
    »Wie heißen Sie?«
    Ein aufrichtiges Lachen aus den Lautsprechern. »Das ist wohl momentan das am

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