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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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in einer logischen Kinderformel erklärbar, die einem das Wasser in die Augen treibt, je blödsinniger der Text, desto stärker der Tränenfluss, heute sind wir noch Glückstagediebe, aber morgen schon blüht uns das Leid, aber morgen schon blüht uns das Leid, genau so ist es doch, plötzlich wird Banalität zur Erkenntnis, natürlich hasst die Zeit die Liebe, sie lässt ja nichts von ihr übrig, nutzt sie nach Kräften ab, reibt sie auf, pflanzt ihr kleinste Emotionsmutationen ein, die sich fortan teilen, verteilen, wuchern und die Liebe verändern, verhärten, vergrätzen und gerinnen lassen, die etwas ganz anderes aus ihr machen als das, was sie ursprünglich war, vielleicht eine Duldung, vielleicht eine Stumpfheit, vielleicht eine Gleichgültigkeit. Und plötzlich ist aus Martin und Karolina, die vor sechzehn Monaten noch nackt im Wannsee schwammen und danach überreife Erdbeeren auf einer karierten Decke aßen, eng umschlungen im Gras lagen, den Sommer rochen, den anderen rochen, betasteten, bewunderten, für genau so unsterblich hielten wie sich selbst, wie diesen zarten Moment, wie diesen Grasgrillgeruch und die langsam trocknenden Wannseewasserperlen auf der Haut, plötzlich ist aus diesen beiden, die doch, bitteschön, zusammengehörten wie niemand sonst zusammengehörte, plötzlich ist aus denen eine schwarzweiße Postkarte geworden, eine vage Möglichkeit, dass es vielleicht so gewesen ist, an jenem Tag, zu jener Stunde, und selbst wenn es so war, kommt es jedenfalls nicht mehr wieder, und deshalb hasst die Zeit die Liebe, dachte Wegener, und deshalb hasse ich die Zeit, und deshalb summe ich diesen Schlager mit und deshalb guckt Kayser mich an, als sei mein Kopf kurz, aber heftig in die Schrottpresse geraten.
    Leises Knirschen.
    Beide drehten sich gleichzeitig um.
    Ein drahtiger junger Brillenträger in schwarzen Klamotten kam aus Richtung des Boulevards auf sie zu. Wegener musste sich eingestehen, dass er ihn genau auf der entgegengesetzten Seite vermutet hatte. Der Drahtige trug ein Nanotchev unterm Arm und nickte freundlich in die Runde.
    »Vielen Dank für Ihre Bemühungen und herzlich Willkommen in einem historischen Augenblick. Der mit Abstand am schnellsten bewilligte Ausreiseantrag in der Geschichte der DDR, zustande gekommen durch eine effiziente und vom Geist der Verständigung getragene Kooperation zwischen Ost und West. Sie können stolz auf sich sein, meine Herren.«
    »War uns ein Vergnügen.«
    »Ronny Gruber«, sagte der Drahtige.
    »Kayser«, sagte Kayser.
    »Wegener«, sagte Wegener. Niemand streckte die Hand aus.
    »Die Dokumente sind tatsächlich angekommen.« Gruber zündete sich eine Zigarette an. Um seinen Hals hing ein Headset. Dunkle Kurzhaarfrisur, harte Züge. Schnelle Augen hinter eckigen Gläsern. »Und echt sind sie auch noch.«
    Gruber inhalierte tief und blies Rauch in die Luft. Dann sank er auf einen der Würfel, beugte sich vor, stützte dünne Arme auf dünne Oberschenkel und atmete, als sei er gerade einen Marathon gelaufen.
    »Also?«, fragte Kayser.
    Gruber schloss die Augen. »Sie wollen jetzt meine Aussage hören?«
    »In einer halben Stunde werden Sie genau hier von einer Spezialeinheit des K5 abgeholt, die Sie noch heute Nacht über die Grenze bringt. Soll ja nicht gleich das ganze Land erfahren, wie leicht man hier rauskommt. Also, es eilt.«
    »Die Brigade Bürger hat Hoffmann umgebracht.«
    Eine Krähe erschien am Himmel, kam über die Schrottberge näher, zog drei unschlüssige Kreise und ließ sich schließlich auf einem eingedrückten Trabantdach nieder. Von dort schielte sie auf Voss wie auf eine Rekordbeute.
    Karo, dachte Wegener, wie gern würd ich dich jetzt am Wannsee durchbumsen, mit der unbeugsamen Erektion von vorhin, mit dir ein Kind zeugen, das wir streng in Früchtls Sinne erziehen, zum Minibürger, weit weg von rechten und linken Lügen und diesem ganzen Stasibrigadeschwachsinn. Wegener rieb seine Augen. Zwang sich zur Konzentration.
    »Warum?«, fragte Kayser.
    »Aus zwei Gründen. Hoffmann war im Besitz brisanter Papiere. Staatsgeheimnisse. Aus seiner Zeit im Beraterstab. Das Zeug muss für Alexander Bürger unglaublich wichtig sein. Warum auch immer.«
    »Haben die Täter diese Unterlagen von Hoffmann bekommen?«
    »Da bin ich überfragt. Ich war nicht dabei am Müggelsee.«
    »Und der Zeuge, den Sie uns nennen wollen?«
    »Ich schick Ihnen eine TNT, wenn ich im Westen bin. Kleine Vorsichtsmaßnahme.«
    Kayser seufzte. »Die Geschichte mit den

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