Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
und ich nicht mehr mitspielen darf.
Alles erträgt der Amerikaner – aber das nicht!
Die Tage des »Gilded Age« und des Wilden Westens, wo man sich rein auf sein Durchsetzungsvermögen, sein Pferd oder sein Schießeisen verlassen konnte, sind indes endgültig vorbei. Amerika ist längst zivilisiert, und keiner hat uns gefragt, ob wir das überhaupt wollen.
Zumindest haben viele Amerikaner diesen Eindruck. Das erklärt die so genannten »culture wars«, den Krieg der Kulturen, der seit einigen Jahrzehnten in den USA tobt. Genau genommen seitdem die konservative Generation meines Vaters eines schönen Morgens am Frühstückstisch auf die »dekadente« Generation der Hippies stieß. Ich habe schon beschrieben, wie mein Vater das Buch Verfall und Untergang des römischen Reiches von Edward Gibbon las und seine Aussage auf Amerika übertrug. Die erste handgreifliche Schlacht in den so genannten »culture wars«, die ich persönlich erlebte, erkannte ich gar nicht als Teil eines größeren Krieges. Ich war zu jung. Ich dachte, es wäre bloß eine laute, Testosteron-geschwängerte Auseinandersetzung zwischen meinem Vater und meinem ältesten Bruder.
Es muss irgendwann Ende der 1970er Jahre gewesen sein. Ich lag im meinem Zimmer und las einen Conan -Comic – ein Werk voller Leidenschaft, Gewalt und existentieller Bedrohung –, als ich aus dem Wohnzimmer plötzlich zwei laute Stimmen voller Leidenschaft, Gewalt und existentieller Bedrohung vernahm. Ich war hin- und hergerissen, was interessanter war: der überhitzte Kampf Conans gegen das Böse oder das verzweifelte Brüllen meines Vaters im Angesicht seines Besserwisser-Sohns.
Worüber sie sich stritten war weder mir noch ihnen völlig klar. Vordergründig ging es um den Vietnamkrieg. Mein Bruder unterstützte die Gegner des Krieges, mein Vater hielt solche Schlappschwänze für eine Bedrohung der amerikanischen Grundwerte.
Ich erinnere mich noch an das wichtigste Argument: Mein Bruder behauptete, Amerika sei aufgrund einer Revolution gegen Tyrannei gegründet worden, also hätten die Hippies das Recht, ja die moralische Pflicht, zivilen Ungehorsam gegen den Unrechtsstaat zu üben und sich dem Krieg zu verweigern, wenn dieser in die Rechte eines anderen Volkes eingriff.
Mein Vater argumentierte, dass die gottverdammte Revolution vorbei sei und dass ein Staat nicht bestehen könne, wenn jeder feige Hippie ständig irgendwelche großkotzigen Ausreden vorbringe, nur weil er Angst vor einem Krieg habe. Werde jede Entscheidung eines demokratisch gewählten Staatsoberhauptes grundsätzlich angefochten, wenn es hart auf hart komme, könne man den Staat gleich in die Tonne kloppen.
Eigentlich war das eine rein theoretische Diskussion, die auch bei einem gepflegten Glas Wein und einer Zigarre hätte geführt werden können. Mein Bruder wurde aus gesundheitlichen Gründen nicht in die Armee eingezogen, also war er aus dem Schneider. Auch meinem Vater hätte es egal sein können. Interessant, aber nicht lebenswichtig, würde man meinen. Aber dem war nicht so. Es war das erste und einzige Mal, dass ich sah, wie mein Bruder und mein Vater handgreiflich wurden. Mit einem Mal schubsten sie einander. Einer von ihnen – ich weiß nicht mehr, wer, vielleicht sogar mein Vater – stolperte, fing sich aber wieder. Irgendwas flog vom Kaffeetisch und einige Bücher aus dem Regal. Dann war es vorbei. Sie verstummten. Der eine war so erschrocken wie der andere. Am nächsten Tag zog mein Bruder aus.
Heute geht genau dieser Streit weiter. Nicht mehr zwischen meinem Bruder und meinem Vater, aber zwischen Amerikanern im ganzen Land.
Es handelt sich um einen Krieg der Werte: Zuerst propagierten die Hippies solche progressiven Ideen wie Toleranz, soziales Bewusstsein und sexuelle Freiheit und verwarfen die verstaubten Werte der Pioniere – Eigenständigkeit, Mut und eine zuweilen recht intolerante Kampfbereitschaft. Prompt folgte der Rückschlag: Moderne Tugenden wie Toleranz hält man heute vielerorts für lasch und kontraproduktiv. Lieber will man die ursprünglichen Werte zurück, die Amerika groß gemacht haben – die der ersten Kolonisten in der Wildnis oder der Pioniere des Wilden Westens.
Der Ausdruck »culture wars« ist relativ neu, aber im Grunde ist der amerikanische »Kulturkampf« uralt: Schon in den ersten Kolonien versuchten die Puritaner, die anderen Einwanderer – Abenteurer, Trapper, flüchtige Kriminelle, windige Spekulanten – zu zwingen, ein gottesfürchtiges
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