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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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drei Kinder erhalten ein kostenloses Mittagessen in der Schule, und seine Mutter hat ihre zweimalige Hüftoperation durch »Medicare« bezahlen lassen.
    Rund die Hälfte aller Amerikaner bezieht regelmäßig Sozialleistungen. Inzwischen schenkt die Regierung ihren Bürgern einen Dollar auf vier Dollar, die sie verdienen, und immer mehr dieser Steuergelder gehen an die untere Mittelklasse. 1980 flossen 50 Prozent aller Sozialleistungen an die Armen; heute gehen zwei Drittel an die Mittelklasse. Und laut Hochrechnungen werden die Ausgaben im sozialen Bereich in den nächsten 10 Jahren um 60 Prozent steigen.
    Die lautstarken Konservativen, die den Sozialstaat abschaffen wollen, sind von ihm abhängiger als alle anderen. Laut einer Studie der Indiana University bezogen die Bewohner der zehn konservativsten Bundesstaaten 21 Prozent ihres Einkommens vom Staat; in den zehn wichtigsten linken Bundesstaaten lag diese Zahl bei nur 17 Prozent.
    Das ist kein Widerspruch: Ihre soziale Abhängigkeit widerspricht ihrem Selbstbild, und das schmerzt. Viele von ihnen sind nicht gegen den Sozialstaat, weil sie ihn nicht brauchen, sondern eben weil sie ihn brauchen. Sie wollen aus der Abhängigkeit raus. Sie sind wie Drogenabhängige, die ihren Dealer auffordern, ihnen doch bitte keine Drogen mehr zu verkaufen.
    Vor allem die amerikanischste aller Berufsgruppen, die Farmer, leben vom Staat. Seit dem New Deal und dem Landwirtschaftsminister Earl Butz zahlt die US -Regierung so viel Geld an Farmer, dass die meisten heute nicht mehr ohne Subventionen auskommen könnten.
    Diese demütigenden Zuschüsse sind nicht unumstritten. Linke geben zu bedenken, dass die künstlich niedrig gehaltenen Preise vor allem den Entwicklungsländern schaden. Konservative Gruppen kritisieren Subventionen, weil es den freien Markt verfälscht und die wirtschaftliche Entwicklung stört. Nur die Farmer verzichten ungern auf den Scheck. Das bedeutet nicht, dass der stolze Western-Farmer keine uramerikanischen Ideale mehr hat. Es heißt nur, dass er einen praktischen Sinn für Ausnahmen hat.
    Dass wir keinen Sozialstaat brauchen, ist nicht der einzige große Mythos der Amerikaner. Mit diesem Selbstbild verwandt ist unser Ideal vom freien Markt: Vom reinen, natürlichen, unverfälschten Kapitalismus, vom Markt, der nur den Naturgesetzen unterworfen ist, der sich selbst regelt und in den der Staat niemals eingreifen darf.
    Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Auch unsere vermeintlich freie Wirtschaft ist durch und durch vom Staat reglementiert.
    Es war Roosevelt, der nach dem Crash von 1929 als Teil des New Deals mit der neu erschaffenen SEC (»Securities and Exchange Commission«) die Börse stärker als je zuvor an die Kandare nahm. Seitdem geht pünktlich zu jeder Finanzkrise die Diskussion von vorne los, dass die SEC das Finanzwesen endlich noch effektiver regulieren müsse. Kaum ist die Krise vorbei, beschweren sich die Politiker, dass die SEC zu stark in die Wirtschaft eingreife, und verlangen, dass ihre Zuständigkeiten beschnitten werden, aber dalli. Dann kommt die nächste Finanzkrise …
    Und die SEC war lange nicht der erste einschneidende Eingriff in den vermeintlich freien Markt.
    Rockefeller & Co. besaßen irgendwann so viel Macht, dass die Angst der Politiker vor ihnen größer wurde als ihre Gier nach Bestechungsgeldern. Vor allem die Eisenbahngesellschaften hatten angefangen, Preise untereinander abzusprechen, um dadurch die Wirtschaft noch stärker unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit dem »Sherman Antitrust Act« wurden solche Absprachen, ebenso jede Art von Kartell und Monopol, endlich verboten.
    Dass ein solches Gesetz mitten im »Gilded Age« möglich war, sagt etwas über die amerikanische Mentalität aus. In Europa gab es damals nämlich noch keine solchen Antikartell-Gesetze. Dafür regten sich zu der Zeit dort alle über soziale Ungerechtigkeit auf, sprachen gar von Marxismus, und in Deutschland führte Bismarck die Sozialgesetze ein. All diese Themen ließen uns Amerikaner kalt. Dass das Einkommen unfair verteilt war, machte bei uns niemandem besondere Angst.
    Ein Monopol aber war etwas anders.
    Das war eine Gefährdung des freien Marktes. Und das bedeutete wiederum: Wenn ich mal als kleiner Mann mit meiner guten Idee und ein paar Dollar Grundinvestition auf den freien Markt drängen will, um eines Tages so reich, mächtig und politisch einflussreich zu werden wie die »robber barons«, habe ich keine Chance, weil der Kuchen schon verteilt ist

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